Am Fluss des Schicksals Roman
dabeibeobachteten, wie die untergehende Sonne wundervolle, leuchtende Farben auf das nahe Kliff zauberte. Zu ihrem Verdruss ging Neal ihr nicht mehr aus dem Sinn.
»Aye, Neal ist ein anständiger Kerl.« Joe sah seine Tochter stirnrunzelnd an. »Woher kennst du ihn?«
»Ich habe ihn nach dem Ankerplatz der Marylou gefragt, und dabei hat er mir seinen Namen genannt. Er behauptete, dich zu kennen, aber ich war mir nicht sicher, ob er die Wahrheit sagt.«
Joe musste über das Misstrauen seiner Tochter lachen. »Wer Neal nicht kennt, kann leicht einen falschen Eindruck von ihm gewinnen, weil er einen merkwürdigen Sinn für Humor hat. Außerdem ist er bei den Damen sehr beliebt. Obwohl er ein Talent dafür hat, manche Frauen zur Weißglut zu treiben, fühlen sie sich unwiderstehlich von ihm angezogen. Mir ist schleierhaft, was er an sich hat ...«
»Mir ebenfalls«, sagte Francesca in unbeabsichtigt schroffem Tonfall. Bestürzt, aber alles andere als verwundert nahm sie zur Kenntnis, dass Neal Mason ein Casanova war, und sie war froh, dass sie sein Angebot ausgeschlagen hatte, mit ihm zu fahren. Von Neal als Eroberung betrachtet zu werden, konnte sie jetzt am wenigsten gebrauchen. »Er hat mir angeboten, mich auf seinem Schiff flussabwärts zu bringen.«
»Das war sehr anständig von ihm.«
Francesca spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. »Wie ich schon sagte ... ich wusste nicht, ob seine Behauptung, dich zu kennen, der Wahrheit entsprach. Deshalb habe ich sein Angebot abgelehnt.«
Joe lächelte seine Tochter an. »Für eine junge Dame wie dich, Frannie, schickt sich das natürlich. Trotzdem finde ich es nett von Neal, dass er dir das Angebot gemacht hat.«
Francesca hegte Zweifel, ob Neal Masons Angebot ehrenhaft gemeint war.»Na, Frannie? Bist du bereit, mit der Marylou hinauszufahren?«, fragte Joe früh am nächsten Morgen in vergnügtem Tonfall. Ned hatte bereits vor Tagesanbruch den Kessel angefeuert, damit sich Druck darin aufbauen konnte.
»Und wie, Dad«, entgegnete Francesca, doch Joe entging ihre Aufregung nicht. Zuvor hatte sie in den Karten gründlich einen Flussabschnitt zwischen Echuca und dem Wald von Barmah studiert, eine Strecke von nur vierzig Meilen, doch für die Holzfuhren war es der Abschnitt des Flusses, mit dem Francesca am besten vertraut sein musste.
»Heute werden wir uns mit vier Meilen in der Stunde zufrieden geben«, sagte Joe. »Dann kannst du dich an das Schiff gewöhnen, während ich an deiner Seite bleibe.« Auch Joe war nervös, ließ es sich aber nicht anmerken.
Kaum hatten sie abgelegt, musste Francesca das Schiff durch die erste Flussbiegung navigieren. An dem riesigen Steuerrad, mit dem das Ruder betätigt wurde, kam sie sich ziemlich klein vor, doch sie hatte alles im Griff. Die rechte Uferseite wurde von hohen Klippen gesäumt; rote, orangefarbene, gelbe und braune Gesteinsschichten, die wie ein Gemälde in der Morgensonne leuchteten. Vor dem anderen Ufer gab es zwei Sandbänke, die unsichtbar unter der Wasseroberfläche lagen. Ruhig und geduldig erklärte Joe Francesca, welchen Kurs sie einschlagen musste, um den Fluss an der tiefsten Stelle zu passieren. Von der Biegung bis zum Pier verlief der Fluss über eine verhältnismäßig kurze Strecke fast gerade; Francesca befiel erst Nervosität, als sie sich der Stadt näherten, zumal dort reger Verkehr auf dem Fluss herrschte und sie panische Angst hatte, ein anderes Schiff zu rammen. Doch Joe ließ die Dampfpfeife schrillen und lotste sie geruhsam am Gewimmel der vielen anderen Schiffe vorbei, die gerade an- und ablegten, wobei er den anderen Flussschiffern zuwinkte, die mit freudiger Überraschung zur Kenntnis nahmen, dass die Marylou wieder unterwegs war. Sobald siesahen, dass eine Frau das Ruder betätigte, stand ihnen die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben.
Während sie den Hafen mit Kurs auf Moama passierten, erzählte Joe seiner Tochter von der Lady Augusta, deren Wrack gegenüber vom Pier gesunken war.
»Sie liegt dreihundert Meilen von der Mündung des Murray entfernt, wo sie am 18. August 1853 Geschichte schrieb. Sie war das erste Schiff, dem es gelungen ist, durch die Sturzwellen aus dem offenen Meer in den Lake Alexandrina zu kommen. Sie hat den Murray viele Jahre lang als Last- und Passagierdampfer befahren.«
»Bis sie ihr trauriges Ende nahm«, bemerkte Francesca.
»Eher ein unwürdiges Ende, würde ich sagen. Ich weiß noch, dass 1867 die Maschine und das Ruderhaus ausgebaut wurden und
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