Am Fluss des Schicksals Roman
Schulden so hoch waren. Mit einem Mal begriff sie, weshalb ihr Vater sich dieser Bürde nicht mehr gewachsen sah.
»Und dann die hohen Zinsen ... wir können die Marylou nicht halten, Frannie. Selbst dann nicht, wenn wir uns zu Tode schuften. Außerdem ist das kein Leben für eine junge Dame ...«
»Ich weiß noch sehr gut, dass Mutter dieses Leben geliebt hat, Dad. Und ich habe meine Kindheit auf dem Fluss sehr genossen.« Doch ihr war bewusst, dass sie nicht dieselbe Bildung besäße wie jetzt, hätte sie nicht die Schule in Melbourne besucht. Und obwohl sie nur widerwillig fortgegangen war, wusste sie, dass ihr Vater immer nur das Beste für sie gewollt hatte.
Joe ließ den Kopf sinken. »Der Fluss hat deine Mutter getötet ...«
Im Geiste sah Francesca wieder das Schiff, das die Marylou seitlich gerammt hatte, und wie ihre Mutter bei dem Aufprall über Bord gegangen war. Da Mary nicht schwimmen konnte, hatte sie es nicht geschafft, einem Schiff auszuweichen, das sich aus der Gegenrichtung näherte. Francescahatte wieder die schreckliche Szene vor Augen, wie ihr Vater aus dem Ruderhaus gestürzt war, nachdem er die Situation erfasst hatte, und in den Fluss gesprungen war, um Mary zu retten. Doch es war zu spät gewesen. Das Wasser hatte sich rot gefärbt vom Blut ihrer Mutter, als diese vom Schaufelrad erfasst und getötet worden war. Auch Joe wurde bei seinem Rettungsversuch verletzt, sodass Ned ebenfalls ins Wasser springen musste, um ihn vor dem Ertrinken zu bewahren. Francesca wusste, dass ihr Vater sich noch heute die Schuld an Marys Tod gab, weil er ihr nie das Schwimmen beigebracht hatte.
»Mutter ist bei einem Unfall umgekommen ... und ich kann schwimmen, Dad. Außerdem kann ich die Bücher führen, sobald wir das erste Geld verdienen.« Sie sah ihren Vater an und erkannte, dass er ihren Optimismus nicht teilte. »Hör zu, Dad. Mir ist klar, dass unsere Schulden immens sind – und ich sage bewusst unsere Schulden –, aber ich werde gleich heute Abend eine erste Bilanz aufstellen, dann sehen wir weiter. Für den Moment schlage ich vor, dass wir nicht länger untätig herumstehen. Es gibt nämlich jede Menge zu tun. Also los, meine Herren, an die Arbeit.«
Francesca ging an Land, um am Ufer ihren Eimer mit Wasser zu füllen.
»Die kommandiert uns ja ganz schön herum, was?«, sagte Joe zu Ned, doch in seiner Stimme lag kein Vorwurf.
Ein breites Lächeln legte sich auf Neds Gesicht. »Genau das, was wir brauchen. Einen Versuch ist es wert, oder? Und sei es nur Frannie zuliebe.«
Joe rieb sich das stoppelige Kinn. »Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn sie ihr Schifferpatent macht. Dann hätte das alles wenigstens ein Gutes, denn ich habe kaum Hoffnung, dass wir die Marylou halten können.« Bei diesen Worten musste er daran denken, dass er auch damals kaum Hoffnung gehabt hatte, als Ned die neugeborene Francesca ausdem Fluss geborgen hatte, wobei wie durch ein Wunder keiner der beiden ertrunken war. Damals hatte Joe alles für möglich gehalten. Aber damit war es jetzt vorbei.
Er staunte, welche Fortschritte sie bereits am späten Nachmittag gemacht hatten. Die Marylou war jetzt schon kaum wiederzuerkennen. Ned hatte darauf bestanden, die Decks zu schrubben, während Francesca die Fenster, die Kombüse und die Kajüten putzte. Joe reparierte währenddessen die Reling und polierte die Messingbeschläge und Maschinenteile. Ned hatte einen Wasservogel gefangen, der nun auf dem Holzofen schmorte. Er versuchte, Francesca mit der Bedienung des Ofens vertraut zu machen, aber sie konnte ihm offenbar nicht folgen.
»Auch Mary hat eine Zeit lang gebraucht, bis sie damit fertig wurde, weil das Ding sehr launisch sein kann«, sagte Ned. Im Grunde war es ihm recht, wenn er weiterhin fürs Kochen zuständig war. Nach Marys Tod hatte er diese Aufgabe übernommen.
Der Duft des Bratfleisches sorgte für eine heimelige Atmosphäre an Bord der Marylou. In den vergangenen Jahren hatten Joe und Ned sich von Brautenten, Krickenten und sogar von Reihern ernährt, doch jetzt, mit Frannie an Bord, würden sie wieder wie eine Familie leben. Joe hatte sogar seit vielen Monaten das erste Mal wieder gelächelt, als er gehört hatte, wie Frannie bei der Arbeit sang – so wie Mary früher.
Am Abend ging Francesca mit ihrem Vater die Flusskarten durch, und sie sprachen über Frannies Plan, das Kapitänspatent zu erwerben.
»Wenn du dich fürs Schifferpatent anmeldest, musst du vor einen Ausschuss aus erfahrenen
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