Am Fluss des Schicksals Roman
Henrietta hatte offenbar mehr Rückgrat, als ich oder sonst jemand ihr zugetraut hätten.«
»Bestimmt hält er jetzt nach der nächsten Ehefrau Ausschau«, sagte Ned. »Wenn er nicht schon eine in Aussicht hat.«
Francesca schauderte. »Der Mann ist widerlich.«
Joe und Ned war bekannt, dass Silas regelmäßig die Bordelle in der Stadt besuchte, und es kursierten Gerüchte, dass er die Dirnen misshandelte, aber weder Joe noch Ned hielten es für ratsam, dies Frannie gegenüber zu erwähnen.
»Du kannst es getrost erfahren, Frannie«, sagte Joe. »Von Silas stammt das Darlehn für die Reparatur des Kessels.«
Francesca erschrak. Ausgerechnet bei diesem abscheulichen Kerl standen sie in der Kreide! Doch sie ließ sich ihre Bestürzung nicht anmerken.
»Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, hätte ich mich nicht an Silas gewandt, aber er lebt von solchen Geschäften. Er ist immer dort zur Stelle, wo jemand in Not ist, und zieht seinen Schuldnern hinterher den letzten Penny aus derTasche. Ich weiß, es war dumm von mir, und es könnte mich das Schiff kosten.« Joe verschwieg ihr lieber, dass er betrunken gewesen war, als er sich auf den Handel mit Silas eingelassen und das Schiff als Sicherheit eingebracht hatte, doch Ned kannte die Wahrheit.
»Oh, Dad.«
»Bei den saftigen Zinsen, die er verlangt, besteht kaum Hoffnung, das Darlehn jemals zu tilgen.«
»So darfst du nicht denken, Dad. Selbst wenn wir Tag und Nacht schuften und uns auf das Allernötigste beschränken müssen – wir werden die Schulden abbezahlen!«
»Arbeit gibt es auf dem Fluss immer, aber wenn mein Arm nicht besser wird, kann ich keine große Hilfe beim Holzverladen sein.«
»Dann sollten wir einen Matrosen anheuern. Einen jungen, kräftigen Mann.«
Joe stieß hervor: »Das können wir uns nicht leisten.«
»Ein zusätzlicher Mann an Bord steigert unsere Produktivität, und wir müssten ihn erst am Monatsende bezahlen.«
Joe missfiel die Vorstellung, eine zusätzliche Kraft anzuheuern. Er und Ned waren immer alleine klargekommen, und die Tatsache, dass sie einen weiteren Mann benötigten, gab ihm das Gefühl, der Arbeit nicht mehr gewachsen zu sein. Er war sicher, dass es Ned genauso ging.
»Es ist unsere einzige Möglichkeit, effizient zu arbeiten, Dad.« Francesca ließ nicht locker. »Kommt, ich zeig es euch.«
Mit Stift und Papier setzte sie sich an den Tisch neben der Kombüse, wo sie ihre Mahlzeiten zu sich nahmen, und notierte ein paar Zahlen. Von ihrem Vater hatte sie erfahren, dass er durchschnittlich fünfzig Pfund im Monat verdiente, wovon Ned zehn Pfund zustanden. Die monatliche Darlehnsrate betrug zwanzig Pfund, wobei Joe drei Monate im Rückstand war. Außerdem hatte Francesca sicherkundigt, wie viel ihnen der Transport von achtundfünfzig Tonnen Holz – die Höchstlast der Marylou – zu den Sägewerken einbrachte und welcher Zeitaufwand dafür einkalkuliert werden musste. Joe hatte geantwortet, dass sie in einer Woche vier Transportfahrten schafften, vielleicht fünf, wenn sie hart arbeiteten; außerdem hatte er Francesca den Preis für eine Tonne Holz genannt und ihr vorgerechnet, wie weit sie damit kämen.
»Ned muss den Kessel im Auge behalten«, sagte Francesca, »deshalb brauchen wir Verstärkung. Dann können wir einen Gewinn in dieser Höhe erwarten.« Sie unterstrich eine Zahl auf dem Blatt. »Selbst wenn wir die Ratenzahlungen für das Darlehn davon abziehen, können wir uns einen Helfer an Deck für den wöchentlichen Mindestlohn von einer Guinee leisten und haben immer noch ein bisschen Geld für Reparaturen an Bord übrig.«
Joe rieb sich das Kinn. Der Umgang mit Zahlen war nie seine Stärke gewesen. Als Mary noch lebte, hatte sie sich um solche Dinge gekümmert; seit ihrem Tod war Joe nachlässig geworden. Er hatte immer nur dafür gesorgt, dass er die Schulgebühr für Frannie zusammenbekam, ansonsten aber hatte er von der Hand in den Mund gelebt. Doch Frannies Zahlen schienen zu stimmen. »Du hast auf der Schule einiges gelernt, Frannie. Man merkt, dass du etwas von Buchführung verstehst.«
Francesca lächelte. »Mein Schulgeld wird sich bezahlt machen, Dad, du wirst sehen.«
Es nahm zwei Tage in Anspruch, mehrere Tonnen Holz zu sammeln, zu hacken und auf die Marylou zu laden. Joe stellte fest, dass sein Arm von der Arbeit ein wenig beweglicher wurde, doch die Schmerzen blieben.
»Kennst du einen Mann namens Neal Mason?«, fragte Francesca eines Abends, als sie Fisch aßen und
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