Am Fluss des Schicksals Roman
zurückzuführen, doch im Innern wusste sie, dass mehr dahinter steckte. Er besaß etwas sehr Anziehendes, und obwohl Francesca versuchte, sich dagegen zu wehren, verstand sie immer mehr, weshalb die Frauen sich von ihm angezogen fühlten. Wie die Motten vom Licht, dachte sie mit makabrer Belustigung.
Neal hingegen wünschte sich insgeheim, dass sie blieb. Es war das erste Mal, dass sie ungestört waren, und der nächtliche Sternenhimmel schuf eine lauschige Atmosphäre. »Sie sind ein Glücksfall für Joe«, sagte er zu ihrer Verwunderung.
»Finden Sie?«
»Ja, er hat sich verändert, seit Sie zurück sind. Wie es auch weitergehen mag – ich weiß, ich brauche mir um Joe keine Sorgen zu machen, solange er Sie an seiner Seite hat.«
Francesca legte diese Worte als Kompliment aus, was sieNeal Mason gar nicht zugetraut hätte. Vorsichtig sah sie zu ihm hoch, wobei sie insgeheim damit rechnete, dass seine Augen vor Spott funkelten. Stattdessen war seine Miene ungewohnt ernst.
»Sie werden doch nicht davonlaufen und diesen Schnösel Radcliffe heiraten?«
»Das geht Sie überhaupt nichts an«, wiegelte Francesca ab.
»Sie würden in der Rolle als Gutsherrin auch nicht glücklich werden.«
»Woher wollen Sie wissen, was mich glücklich macht?«, gab Francesca zurück, innerlich kochend vor Zorn.
»Ganz sicher weiß ich es nicht«, entgegnete Neal. Aus heiterem Himmel schlang er den Arm um ihre schmale Taille und zog sie an sich heran. Obwohl er dagegen angekämpft hatte, konnte er diesem Impuls nicht mehr widerstehen. Francesca presste die Hände gegen seine Brust, doch es war zwecklos. Und bevor sie ein Wort sagen konnte, versiegelte er ihre Lippen mit einem Kuss.
Im ersten Moment wehrte sich Francesca; dann aber spürte sie, wie sie in seinen starken Armen schwach wurde. Seine Lippen waren warm und weich, und sie erlebte einen Ansturm von Gefühlen, der ihr den Boden unter den Füßen wegzog. Als er sich von ihr löste und in ihre großen, schimmernden dunklen Augen blickte, umspielte ein Lächeln seine Lippen.
Dieses Lächeln brachte Francesca wieder unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie kam sich billig vor, wie eine weitere seiner zahlreichen Eroberungen. Sie versuchte Luft zu holen und wand sich aus seiner Umarmung. »Lassen Sie mich los!«
»Ich wette, dieser Schönling Radcliffe küsst nicht auf diese Art«, sagte Neal mit heiserer Stimme.
Francesca war bestürzt, dass Neal Monty als Nebenbuhler betrachtete. »Er hat mich nicht ...«
»Er hat Sie nicht geküsst?« Neal blickte sie verwundert an und lachte dann leise. »Ich wusste noch gar nicht, dass dieser feine Pinkel obendrein ein Dummkopf ist.«
»Hören Sie auf, ihn so zu nennen«, brauste Francesca auf. »Monty ist ein Gentleman, was ich von Ihnen nicht behaupten kann.«
Verstört registrierte Neal ihre Empörung. »Seit ich Sie das erste Mal gesehen habe, wollte ich Sie küssen, Francesca. Ich finde, ich habe mich wie ein Gentleman verhalten, weil ich mir so viel Zeit damit gelassen habe.«
Sie stemmte sich von ihm weg. »Sie hatten überhaupt kein Recht dazu!«
»Welcher Mann könnte Ihnen im Mondschein widerstehen? Außerdem schien es Ihnen nichts auszumachen.«
Francesca verschlug es den Atem bei so viel Dreistigkeit. »Ich hatte wohl kaum eine Wahl.«
Neal begriff nicht, weshalb Francesca derart aufgewühlt war. Er konnte sich vorstellen, dass sie eine solche Situation bereits häufiger erlebt hatte. »Es war doch bloß ein Kuss ...«, sagte er.
Beschämt wandte Francesca sich ab und klammerte sich an die Reling. Neal geriet plötzlich ins Grübeln. »Es war doch wohl nicht das erste Mal?« Das konnte er unmöglich glauben – aus dem einfachen Grund, weil Francesca so schön war. Dann aber fiel ihm ein, dass sie ein Mädchenpensionat besucht hatte und noch sehr jung war.
Francesca kehrte ihm den Rücken zu. »Ach, seien Sie still«, sagte sie und schämte sich unüberhörbar. Sie hatte sich ihren ersten Kuss viel romantischer vorgestellt – und bestimmt nicht von so einem Schuft.
Das Lächeln war aus Neals Gesicht verschwunden. Ihm wurde klar, dass dies ein ganz besonderer Augenblick für Francesca hätte sein sollen, und er hatte ihn ruiniert.
»Francesca«, sagte er flüsternd, doch sie war nicht fähig,ihm ins Gesicht zu schauen. Sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen.
»Francesca ...«, sagte er noch einmal, legte die Hände auf ihre Schultern und drehte sie sanft um. Sie hielt den Kopf gesenkt, damit ihr
Weitere Kostenlose Bücher