Am Fluss des Schicksals Roman
Menschen verachtet zu werden, die sich für etwas Besseres hielten und keine Vorstellung von dem erbärmlichen Leben hatten, das sie führte. »Einer der einflussreichsten Männer in Echuca will Francesca heiraten.«
Regina war bestürzt, dass Montys Heiratsabsichten bereits öffentlich bekannt waren. »Es ist verfrüht, von Heirat zusprechen, Miss Spender. Und mein Sohn könnte etwas viel Besseres bekommen als eine Schifferstochter.«
Arrogante Ziege, dachte Lizzie. »Ich habe nicht von Ihrem Sohn gesprochen.«
Regina starrte sie fragend an. »Von wem dann?«
»Von Silas Hepburn.« Silas hatte ihr von seinem Vorhaben erzählt, ohne dass sie dem große Beachtung geschenkt hatte oder verwundert gewesen war. Sie verabscheute Silas, der nach einer Flasche Rum immer ganz redselig wurde. Obwohl sie vor lauter Frust jedes Mal schreien könnte, war es immer noch besser, seinen Pöbeleien zuzuhören, als ihm zu Willen zu sein oder von ihm geschlagen zu werden.
Regina wurde plötzlich blass. Lizzie befürchtete, sie würde in Ohnmacht fallen.
»Das kann er nicht ...« Regina schlug die Hände vors Gesicht. »O Gott, nein. Nimmt dieser Albtraum denn überhaupt kein Ende?«
Lizzie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Befremdet starrte sie Regina Radcliffe an. Sie konnte nicht sagen, ob Regina der Gedanke, Silas könnte Francesca heiraten, anekelte oder tief im Herzen traf. Jedenfalls begriff sie nicht den Grund für Reginas Zusammenbruch.
»Was kümmert es Sie, ob Silas Francesca zur Frau nimmt?«, fragte Lizzie im Flüsterton.
Regina gab einen Laut von sich, der einem erstickten Schrei glich. »Er kann nicht ...« Ihre Stimme brach, und sie krümmte sich, die Hand auf die Magenpartie gepresst. Als sie fortfuhr, hörte es sich an, als flüstere sie die Worte: »Er kann nicht seine eigene Tochter heiraten ...«
Lizzie war sicher, sich verhört zu haben. Joe Callaghan war Francescas Vater. Hatte Regina den Verstand verloren?
Im nächsten Moment schob Regina Lizzie zur Seite und taumelte aus der Kajüte. Sie verschwand im Dämmerlicht, laut nach Claude rufend. Kurz darauf vernahm Lizzie dasRattern von Wagenrädern auf dem unbefestigten Weg; dann tauchte der riesige Schatten einer Kutsche wie aus dem Nichts auf. Obwohl Lizzie nicht viel erkennen konnte, vermutete sie, dass Regina in diese Kutsche gestiegen war, die sich rasch entfernte.
»Was für eine merkwürdige Frau«, sagte Lizzie laut, »und Geld habe ich auch keins gesehen.« Sie hatte schon vor langer Zeit erfahren müssen, dass die Angehörigen der so genannten besseren Gesellschaft manchmal ein bizarres Verhalten an den Tag legten. Lizzie wollte gerade die Kerze löschen, als ihr Blick auf etwas Schimmerndes am Boden fiel. Sie bückte sich, um es aufzuheben, und stellte fest, dass es sich um ein Armband handelte. Wahrscheinlich hatte Regina es verloren, als sie sich vor innerer Qual gewunden hatte.
»Hübsch«, sagte Lizzie laut, legte sich das Armband ums Handgelenk und bewunderte die funkelnden, in Gold gefassten Steine. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, das Armband zurückzugeben, fragte sich dann aber, ob das Schicksal ihr endlich eine Chance geben wollte. »Mrs Radcliffe hat bestimmt sehr viel Schmuck, da wird sie dieses eine Armband nicht vermissen, und mir bringt das ein paar Shilling extra ein.« Zufrieden lächelnd machte Lizzie sich auf den Weg zurück in die Stadt.
Zur selben Zeit saß Francesca zusammen mit Ned am Heck, wo er die Angel ausgeworfen hatte. Joe hatte sich am späten Nachmittag zu einem Nickerchen zurückgezogen und schlief noch. Inzwischen brach die Dämmerung an, und das Wasser reflektierte das leuchtende, von violetten und gelben Schattierungen durchzogene Abendrot, das am Horizont erstrahlte. Das Spiegelbild der gewaltigen Flussbäume auf der Wasseroberfläche kräuselte sich leicht in der schwachen Strömung. Zu dieser Tageszeit war es sehr still. Die Rosenkakadus und Sittiche hatten die Baumäste verlassen, um vom seichtenWasser zu trinken, während die Pelikane und Reiher auf der Jagd nach Welsen, Brassen und Flussbarschen waren, beobachtet von einem Falken, der über ihnen seine Kreise zog.
»Du hast bislang nicht viel von deinem Besuch auf Derby Downs erzählt«, sagte Ned schließlich. »Hat es dir nicht gefallen?«
»Doch«, antwortete Francesca abwesend, denn ihre Gedanken kreisten ständig um Regina und den seltsamen Blick, mit dem sie sie vom Balkon aus angestarrt hatte. Dieser Blick verfolgte sie
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