Am Fluss des Schicksals Roman
Vater etwas ahnte. Sie hatte sich selbst nicht den leisesten Zweifel erlaubt, dass es falsch war, Francesca einer ungewissen Gefahr auf dem Fluss auszusetzen. Damals hatte sie sich geschworen, dieses Geheimnis mit ins Grab zu nehmen, und daran hatte sich nichts geändert.
Vor siebzehn Jahren waren Reginas Verzweiflung und Angst so groß gewesen, dass sie in Betracht gezogen hatte, das Baby nach der Geburt zu ertränken, doch als die Wehen einsetzten, hatte sie einen anderen Entschluss gefasst und eine kleine Wanne zum Fluss mitgenommen. Es hatte nichts mit Mutterinstinkt zu tun gehabt: Regina hatte sich überlegt, das Kind der Flussströmung zu überlassen, denn das war in ihren Augen so, als würde sie das Leben ihres Kindes in Gottes Hand legen. Und damit wäre sie von jeder Schuld freigesprochen.
Weil damals eine Viehschau auf Derby Downs stattgefunden hatte, musste Regina mehrere Meilen stromaufwärts gehen, um das Kind unbemerkt zur Welt zu bringen. Sie hatte angenommen, die Wanne würde in der Nacht weit abdriften und am nächsten Tag von einem Flussarbeiter entdeckt werden. Stattdessen mussten Mary und Joe Callaghan das Baby schon kurze Zeit, nachdem Regina es auf dem Wasser ausgesetzt hatte, gerettet haben.
»Ich muss verhindern, dass Monty Francesca weiterhin trifft«, sagte Regina sich immer wieder. Auch wenn es sie schmerzte, Monty das Herz zu brechen, war es immer noch besser, als ihn eines Tages mit der Wahrheit zu konfrontieren, dass die Frau, die er begehrte, seine Halbschwester war.
Stundenlang zermarterte Regina sich das Hirn, wie sie es anstellen sollte, einen Keil zwischen Francesca und Monty zu treiben. Monty war eine treue Seele, hatte aber einige Charakterzüge von seinem Vater geerbt. Niemals würde er ein taktloses Verhalten verzeihen, und niemals würde er eine Frau mit fragwürdiger Moral heiraten. Da Regina ihreAugen und Ohren überall hatte, wusste sie bereits, dass Francesca am Pier bei einem Gespräch mit einer Prostituierten beobachtet worden war, einer Frau namens Lizzie Spender. Sie hatte sich ursprünglich vorgenommen, Francesca darauf hinzuweisen, dass es sich für jemanden, der mit einem geachteten Bürger der Gemeinde verkehrte, nicht ziemte, sich mit einer Dirne zu unterhalten, auch wenn es sich um harmloses Geplauder gehandelt haben mochte. Das konnte sie nun zu ihrem Vorteil verwenden. Wenn man die Begegnung in ein bestimmtes Licht rückte, konnte man Francesca vielleicht als moralisch verderbt hinstellen ...
Doch Regina musste noch einen Schritt weiter gehen. Sie plante, sich mit dieser Lizzie Spender unter vier Augen zu treffen und sie dazu zu bringen, mit Francesca Freundschaft zu schließen. Vielleicht ließ sie sich für eine großzügige Summe auch dazu überreden, Gerüchte über Francesca zu verbreiten. Wäre Francescas Ruf einmal lädiert, würde Monty sich bestimmt nach einer anderen zukünftigen Frau umsehen. Sollte der Plan fehlschlagen, gab es immer noch Neal Mason. Regina war sicher, Monty davon überzeugen zu können, dass Francesca und Neal Mason, der für seinen Ruf bekannt war, ein Verhältnis hatten. Insbesondere, wenn Monty Recht hatte und Neal Mason Francesca tatsächlich liebte.
Regina empfand keinerlei Gewissensbisse, Francescas Leben zu zerstören, denn durch Francesca wurde sie unablässig an ihren Fehler in der Vergangenheit erinnert, und darauf konnte sie gut und gerne verzichten. Regina war zu allem bereit, um ihre Familie und insbesondere Monty zu schützen.
»Meinen Sie, Ihre Mutter kommt noch einmal nach unten, bevor ich wieder fahre, Monty?«, fragte Francesca. Sie hatten das Frühstück in aller Frühe eingenommen, und Monty hatte sie zu den Ställen geführt, um den Scherern bei der Arbeitzuzuschauen. Beide hatten damit gerechnet, Regina bei ihrer Rückkehr von den Ställen zu Gesicht zu bekommen. Francesca wollte sich von ihr verabschieden und ihr für die Gastfreundlichkeit danken.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Monty, den das Verhalten seiner Mutter befremdete.
»Dürfte ich zu ihr nach oben, um mit ihr zu sprechen?«, fragte Francesca.
»Das ist eine gute Idee, das freut sie bestimmt«, sagte Monty.
Kurz darauf klopfte Francesca an Reginas Tür, erhielt jedoch keine Antwort.
»Ich möchte mich von Ihnen verabschieden, Mrs Radcliffe«, rief sie durch die Tür. »Und ich möchte Ihnen für die Einladung nach Derby Downs danken. Es war eine wundervolle Zeit. Es tut mir sehr Leid, dass Ihnen nicht wohl ist. Ich hoffe, Sie bald
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