Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
Druck der Waffe gegen meinen Kopf ließ eine Winzigkeit nach. Ich ging ein Stück in die Knie und ließ mich nach vorn fallen,gegen den Arm, der um meinen Hals geschlungen war. Fast hätte es geklappt.
Doch der Ironman war zu stark. Als ich nach unten sackte, packte er zu und umklammerte meinen Hals mit einer Hand von der Größe eines Baseball-Handschuhs. Dann hob er mich hoch und zog mir noch einmal die Waffe über den Kopf.
»Zurück!«, schrie er. In seiner Stimme schwangen Angst und Wut zu gleichen Teilen mit.
Alles erstarrte. Jetzt beherrschte wieder Avery die Szene.
»Mich kriegt keiner«, sagte er.
Langsam hob Brady seine Waffe. Ich lief Gefahr, zum Kollateralschaden zu werden. Ich schloss die Augen.
Avery schleuderte mich von sich. Warf mich weg wie einen Sack Recycling-Müll. Brady hob eine Hand, um mich wegzustoßen. Ich rollte zur Seite und blieb auf dem Rücken liegen. Aus dieser Position beobachtete ich, wie Avery eine Hand auf das Geländer legte und nach einem kraftvollen, geschmeidigen Sprung auf der vorstehenden Brüstung zum Wasser hin landete.
Die Polizisten rückten vor, um ihn zu ergreifen. »Halt! Keine Bewegung!«
Ich sah, wie Avery seine Waffe in hohem Bogen ins Wasser warf. Dann stürzte er sich selbst hinein. Er machte einen rasanten Kopfsprung – den Körper leicht gekrümmt, das Kinn auf der Brust, Arme und Hände v-förmig ausgestreckt. Formvollendet. Für den Bruchteil einer Sekunde hielt ich für möglich, dass er es schaffte.
Mit einem schrecklichen dumpfen Geräusch – keinem Platschen – kam er auf. Einer der alten Pfähle, die direkt unter der Wasseroberfläche endeten, hatte ihn aufgespießt, hatte sich durch seine Brust gebohrt und war am Rücken wieder ausgetreten. Sein Gesicht und seine Hände bliebenunter Wasser, und falls er schrie, war das für niemanden zu hören. Um ihn herum färbte das Wasser sich rot und immer dunkler. Rund um das schwarze Stück Holz, das aus seinem Rücken ragte, waren Fleischfetzen und kleine Partien weißlichen Knochens zu sehen. Die Strömung nahm seine Arme mit; es sah aus wie ein träges Winken zum Abschied. Einer der Polizisten übergab sich in einen der Drahtgitter-Papierkörbe.
»Großer Gott«, sagte Brady. »Was hat er sich bloß gedacht?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ironman. Er hat gedacht, er schwimmt rüber nach Jersey City.«
28
Wieder einmal wachte ich viel früher auf, als nötig gewesen wäre. In dem kurzen Augenblick des Dämmerns zwischen Schlafen und Hellwachsein meinte ich, Kids leichte Atemzüge zu hören, und ging automatisch im Geiste durch, was er an sauberen Sachen im Schrank hatte. Montag. Bluejeans. Den langärmligen dunkelblauen Pulli. Hatte er saubere Socken?
Als ich endlich bei mir war, stürzte das Elend wieder auf mich ein. Der Junge war noch in Louisiana.
Einen verdammten Schritt nach dem anderen, dachte ich. Und stand auf.
Es würde ein langer Tag werden – lang und quälend. Ich freute mich nicht darauf. Das, was ich zu sagen hatte, würde Karrieren kaputt machen – und nicht alle, die abstürzten, würden tatsächlich schuldig sein. Genauso wahrscheinlich war es, dass nicht alle, die schuldig waren, auch abstürzten.
Ich rief noch einmal in London an, um mir eine letzte Bestätigung dessen zu holen, was ich ohnehin schon wusste. Dann machte ich mich auf den Weg.
Gwendolyn führte mich sofort hinein.
»Es wundert mich, dass Sie heute schon kommen, Jason. Ich dachte, wir hätten uns geeinigt, dass es ein paar Wochen dauert, bis wir hier alles geklärt haben.« Stockman wirkte nicht nur gealtert, sondern auch geschrumpft – wie Frodo,nachdem er zu lange und zu schwer an der Last des Ringes getragen hat.
»Es ist mir nicht wirklich gelungen, alles unter Verschluss zu halten. Die Ereignisse haben ihre eigene Dynamik entwickelt.« Ich erzählte ihm von dem Mord an Hochstadt und den Dateien, die mindestens ein Dutzend Trader bei Weld belasteten und unzählige überall an der Wall Street. Dann berichtete ich von Avery – und dem FBI. »Die werden mit Ihnen sprechen wollen.«
»Ich wünschte, Sie wären mit alldem als Erstes zu mir gekommen. So haben Sie mich in eine schwierige Lage gebracht.«
Das letzte Mal, als ich in seinem Büro gewesen war, hatte ich ihn darauf aufmerksam gemacht, dass sich auf den Wellen Schaumkronen bildeten, und jetzt beschwerte er sich, ich hätte ihn nicht vor dem Hurrikan gewarnt. Trotzdem tat er mir leid. Solange es noch eine Chance gegeben hatte, alles zu
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