Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sears
Vom Netzwerk:
Gesicht zur Wand. Seine Haut war so hell, dass er in dem dunklen Zimmer beinahe unwirklich aussah – wie der Geist eines Jungen. Ich zog die Tür wieder zu und rang einen Moment lang mit mir, ob ich sie verschließen sollte oder nicht.
    Scheiß drauf, dachte ich. Er war mein Kind, und ich hätte ihn niemals so im Dunkeln eingeschlossen wie in einem Gruselroman aus dem neunzehnten Jahrhundert. Also ließ ich den Haken baumeln und schlich mich auf Zehenspitzen nach unten.
    Hitze und Luftfeuchtigkeit waren auch am Spätnachmittag noch tödlich. Ich lief anderthalb Kilometer in acht Minuten und schlenderte die Strecke in fünfundzwanzig Minuten zurück, immer im Schatten von Virginia-Eichen und Zedernulmen.
    Als ich wieder ins Haus kam, war Mamma in der Küche. Sie hatte das Radio an – hörte einen Kirchenchor oder so was und sang leise mit. Ich ging zur Treppe.
    Plötzlich hörte ich vom oberen Absatz her ein Trippeln, und als ich den Kopf hob, sah ich den Jungen auf der obersten Stufe stehen. Er summte, immer denselben Ton, und hüpfte, die Arme ausgestreckt, unentwegt von einem Fuß auf den anderen.
    » Iiiiiiii . « Er wurde immer lauter. Es war ohne jeden Zweifel ein fünfjähriger Engel, der diesen Schrei ausstieß, aber er hörte sich trotzdem an wie eine Maschine. Es dauerte einen Augenblick, bis ich es erkannte. Es war eine nahezu perfekte Wiedergabe des Motorengeräuschs eines Jets kurz vorm Abheben.
    Und dann hob er ab. Stieß sich von der Stufe ab, breitete die Arme aus wie Tragflächen und stürzte sich ins Nichts. Er blieb nicht oben. Den magischen Moment, in dem sein fester Glaube daran, dass er fliegen könne, die Gesetze der Physik ausgehebelt hätte, gab es nicht. Nichts verlangsamte sich unheilvoll, die Zeit stand nicht still. Der Junge fiel einfach. Wie ein Stein.
    Ich riss die Hände hoch, fing ihn auf und taumelte unter dem Ruck und dem plötzlichen Gewicht ein, zwei Stufen rückwärts. Kid lachte und wand sich, wedelte mit den Armen, als wären sie Flügel, und strampelte, als wolle er höher aufsteigen.
    Vorsichtig nahm ich die letzten Stufen nach unten, und dabei hielt ich ihn die ganze Zeit, so hoch ich konnte. Hinter mir erschien Mamma und fing an zu schreien, ich solle ihn absetzen, und zwar sofort, doch ich beachtete sie nicht. Ich war zu sehr mit meinen Erinnerungen beschäftigt. Daran, wie es gewesen war, dieses Kind als Baby hoch über meinen Kopf zu halten, so wie ich es jetzt tat, und zu sehen, wie seine oft steinerne Miene sich in ein unbändiges Strahlen verwandelte. Das wiederholte sich jetzt. Er war einige Jahre älter und viele Pfund schwerer, und sein Strampeln und Zappeln stellte meine Armmuskeln schon auf die Probe, aber für den Moment waren wir beide selig.
    Weiter ging die Reise, durchs Wohnzimmer, wo ich ihn über Couch und Ohrensessel einen Sturzflug hinlegen ließ. Er kreischte und kicherte. Das war es, worum die zwei Jahre Abwesenheit mich gebracht hatten; das war es, was mein Fehler mich wirklich gekostet hatte.
    Als meine Arme anfingen zu zittern, ließ ich ihn sanft auf der Couch landen. Einen Augenblick blieb er liegen, lachte und schnappte einfach nur nach Luft. Ich ließ mich neben ihn fallen und schüttelte die Arme aus, um einen Krampfloszuwerden. In dieser Sekunde war ich glücklich wie seit Jahren nicht mehr.
    Und in der Sekunde erwiderte er meinen Blick. Er hatte die Augen seiner Mutter – dasselbe erschreckend helle Eisblau. Mir schnürte sich die Kehle zu.
    Gleich darauf schaute er weg, sprang auf, riss die Arme hoch und begann vor mir umherzutanzen, wie um zu zeigen, was er wollte.
    »O nein, Kid. Du hast mich fertiggemacht. Ich brauche erst mal eine Pause.«
    Seine Bewegungen wurden heftiger, und der selig-erwartungsvolle Ausdruck auf seinem Gesicht verwandelte sich zusehends in eine Maske der Angst. Dann fing er wieder mit dem schrillen Jet-«Iiiii« an.
    »Nein. Jetzt nicht. Nein, Kid. Ich würde ja gern, aber wenn wir es jetzt versuchen würden, würde ich dich fallen lassen.« Ich stand auf und wollte eine seiner wedelnden Hände nehmen.
    Seine Enttäuschung steigerte sich exponentiell. Er gab ein raues, zorniges Knurren von sich. Seine Gesichtsfarbe wechselte von Rosig über Rot zu Dunkelrot. Sein Blick fixierte nichts mehr, sondern irrte ziellos umher, so als seien seine Augen voneinander und vom Rest des Gesichts völlig losgelöst.
    Ich beugte mich zu ihm herab und wollte ihn halten. »Komm, mein Junge. Ist ja gut. Wir machen es nachher noch

Weitere Kostenlose Bücher