Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
rollte ein nagelneuer silbermetallicfarbener Chevy-Silverado-Platinum-Pick-up die Auffahrt herauf und hielt. Der Wagen war aufgebrezelt mit Nebelleuchten, Extrascheinwerfern, Überrollbügeln, eigens angepassten Rädern, Schmutzfängern mit Yosemin-Sam -Bildchen und einem Konföderierten-Kriegsflaggenabziehbild. Tino hörte auf zu schneiden.
»Okay, jetzt geht’s rund«, sagte er.
Das Sonnenlicht brach sich in der Windschutzscheibe, so dass ich im Inneren nur vage zwei Gestalten ausmachen konnte.
»Ist das Angie?«
»Mit ihrem Freund. Du wirst ihn nicht mögen.«
»Nicht?«
»Niemand mag ihn.«
Die Beifahrertür ging auf, und mein Herz blieb stehen. Ich versuchte ein tapferes Lächeln, versagte aber. Es gelang mir einfach nicht. Also gestattete ich meinem Gesicht seinen üblichen mürrischen Ausdruck.
Sie trug Jeans, Cowboystiefel – von Luchese, wie ich meine Angie kannte – und ein lavendelblaues Tanktop. Ich trug einen Umhang aus einem alten Bettlaken und war voller Haarschnipsel.
Ich war Wachs in ihrer Hand. Sie war einfach vollkommen. Wild und unberechenbar, kindlich, launisch, verantwortungslos. Vollkommen. Sie schritt über den Vorplatz, als sei er der Hauptlaufsteg der Fashion Week. Sie war eine Raubkatze – anmutig, kraftvoll und gefährlich. Sie war ein junges Reh – zerbrechlich, unsicher und bezaubernd. Sie war des Teufels Tochter, für die ich tausend Mal meine Seele verkauft hätte.
Am Fuß der Verandatreppe blieb sie stehen und sah zu mir herauf. »Hallo, du. Hab gehört, du bist hier.«
Ich hatte mir ungefähr hundert mögliche Eröffnungen zurechtgelegt. Sie waren alle verschwunden.
»Du siehst toll aus, Angie.«
Sie zuckte die Achseln. Toll auszusehen kostete sie nichts. Jetzt erst entdeckte sie den Jungen.
»Antoine! Warum hast du meinen Jungen aus seinem Zimmer geholt? Er tut sich so leicht weh, das weißt du doch!«
Tino antwortete nicht.
»Das war ich, Angie«, sagte ich. »Ich habe ihn runtergeholt. Ich fand, er muss an die Luft. Und es war schön mit ihm.«
Sie starrte mich an. Als ich mich nicht ängstlich duckte, gab sie schließlich auf und zuckte erneut die Achseln.
»Danke für die CDs. Meine Musik. Das war sehr nett von dir.«
Einen Moment lang sah sie mich verständnislos an. Sie hatte keine Ahnung, wovon ich redete. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich wusste nicht, was ich sonst damit machen sollte. Der Typ, der das mit der Versteigerung geregelt hat, meinte, sie sind nicht viel wert.« Sie setzte ihre Evian-Flasche an und trank.
Mich überkam die Eingebung eines Ko-Abhängigen. Das ist kein Wasser, dachte ich.
Möglicherweise würde das alles viel schwieriger werden, als ich es mir vorgestellt hatte.
Sie bedachte ihren Bruder mit einem kurzen Lächeln. »Tino? Sei ein Schatz, ja? Bringst du meinen Kleinen rein, damit ich mit Jason reden kann?«
Tino legte Kamm und Schere auf dem Tisch neben mir ab, ging hinüber zu Kid, hockte sich hin und schaute in Richtung Vorplatz.
»Ich glaube, ich esse jetzt ein Eis. Möchtest du auch?«
»Superleckeres French-Vanilla?« Der Kleine hörte sich haargenau so an wie der Werbespotsprecher aus Mammas Radio. Er runzelte die Stirn und sah Tino von unten herauf misstrauisch an. Er aß Vanilleeis oder gar keins.
»Das ist genau die Sorte, die wir da haben.«
Da stand der Kleine auf und ging ins Haus. Tino folgte ihm.
Angie ignorierte den Wortwechsel, wobei sie allein durch ihre Haltung zum Ausdruck brachte, dass sie ungeduldig auf sein Ende wartete. Und kaum hatte sich die Tür hinter den beiden geschlossen, ging sie auf mich los.
»Du hast keinen blassen Schimmer, was ich durchgemacht habe, nachdem du verschwunden bist, Jason.«
»Ich war nicht ›verschwunden‹, Angie. Ich war weg. Das ist etwas anderes.«
»Dieser Junge ist unheimlich, Jason. Du hast ja keine Ahnung. Ich kann ihn nicht in den Arm nehmen. Er sieht mich nie an. Und wenn ich ihn ansehe, weint er oder schreit oder kriegt einen verdammten Anfall.«
»Er ist krank, Angie. Das haben wir gewusst.«
»Ich hab es nicht gewusst. Ich hab nicht gewusst, was das heißt. Und du warst nicht da, du Scheißkerl!« Sie beugte sich vor, während sie sprach, und ich spürte Tröpfchen von ihrem Speichel auf der Wange. Ich wollte mehr davon.
»Angie. Ich konnte nicht da sein. Ich wäre es gern gewesen, aber ich konnte nicht. Es tut mir leid. Wir haben doch über alles gesprochen. Darüber, wie es werden soll. Was ist denn passiert?«
»Dieser Junge, Jason. Der ist
Weitere Kostenlose Bücher