Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sears
Vom Netzwerk:
mal.«
    Er wandte sich ab und rannte die Treppe hinauf. Ich rannte hinterher. Er war schnell und von einer Beweglichkeit, um die jeder Fußballspieler ihn beneidet hätte. Wir kamen an Mamma vorbei, die mit verschränkten Armen dastand und uns voller Zorn beobachtete. Sie machte nicht einmal den Versuch, ihn aufzuhalten. Ich langte am Fuß der Treppe an,als er schon oben war. Er drehte sich um und begann wieder zu tänzeln.
    »Nein! Nicht, Kid!« Ich nahm die ersten beiden Stufen. Er weinte und jammerte, aber in seinem Blick lag auch der Ausdruck wahnwitziger, verzweifelter Hoffnung. »Nein! Jetzt nicht! Nachher!«
    »Will weg!«, schrie er und stürzte sich ein zweites Mal in die Tiefe.
    Die Hände hatte ich rechtzeitig oben, aber ich stand nicht sicher genug, um das plötzliche Gewicht auszutarieren. Und meine Arme waren immer noch windelweich. So fielen wir beide. Ich landete am Fuß der Treppe, er – abgefedert – auf mir, aber er zitterte trotzdem. Mich hatte es ziemlich erwischt. Es war nichts gebrochen, das spürte ich, aber während der nächsten zwei, drei Tage würde ich bestimmt nicht laufen gehen.
    Kid setzte sich auf, legte mir die Arme um den Hals und begann an mir zu zerren. »Jason, komm! Jason, komm!«
    Bevor er mir den Kopf abreißen konnte, griff Mamma ein.
    »Nicht! Lass das, Junge! Jason ist verletzt.«
    »Entschuldigung. Entschuldigung. Entschuldigung. Entschuldigung.« Er konnte einfach nicht aufhören. Wiederholte das Wort in einem mechanischen Singsang, der jeden Geschädigten so weit treiben musste, ihm eine verpassen zu wollen.
    »Das reicht.« Ich rappelte mich auf. »Hör zu, Kid. Morgen lasse ich dich wieder fliegen. Aber erst morgen, vorher auf keinen Fall. Und nun lass mich gehen.«
    Er hielt inne.
    »Versprochen, nicht gebrochen?«
    »Versprochen!«
    Er starrte mich an, als könne er so feststellen, wie ernst esmir mit dem Versprechen sei. Ich ließ ihn gewähren. Irgendwann fasste er einen Entschluss und nickte. Dann sprang er auf und rannte nach oben, in sein Zimmer.
    Ich erhob mich ebenfalls und suchte mich nach Blessuren ab. Mamma starrte mich an.
    »Und? Wirst du jedes Mal da sein und ihn auffangen?«
    Ich dachte einen Augenblick nach. »Ich will es versuchen.«
    Sie wandte sich ab und verschwand wieder in der Küche.
    Weder an diesem noch am nächsten Tag ließ Angie sich blicken. Ich brachte die Zeit damit zu, auf der Veranda zu sitzen und zu beobachten, wie mein Sohn seine Autos in ordentlichen Kolonnen auf den Holzplanken anordnete. Lücken gab es nur da, wo eine Planke endete – auf keinen Fall durfte ein Auto den Spalt zwischen zwei Brettern überbrücken. Ein paar Mal ließ ich ihn von der obersten Stufe der Außentreppe fliegen, bis mir aufging, dass jedes weitere Mal seine Begehrlichkeit nur steigerte. Die Folge waren weitere Wutanfälle. Weitere Versprechen.
    Erst am Montagmorgen kreuzte sie auf.
    Ihr Bruder schnitt mir gerade die Haare. Tino unterhielt einen noblen Salon in Lafayette, was nicht das Gleiche ist wie ein nobler Salon in New York, aber es lief doch so gut, dass er zweimal im Jahr Ferien machen konnte, in San Francisco, Provincetown, London oder Berlin. Seine Verwandten und die Kunden nannten ihn einen »Junggesellen«. Wir beide hatten uns trotz unserer unterschiedlichen Herkunft und eindeutig unterschiedlicher Neigungen immer gut verstanden.
    »Hast du dir schon mal überlegt, was du hier oben machen willst?« Sanft berührte er mit der Schere meine Schädeldecke.
    »Bloß keine Strähnen drüberkämmen, okay? Ich werde nicht kahl, ich lasse da bloß etwas mehr Licht ran.«
    »Du könntest sie insgesamt ein bisschen wachsen lassen. So groß, wie du bist, wird das noch jahrelang niemandem auffallen.«
    »Ich mag es schlicht.«
    Er seufzte theatralisch und schnippelte weiter.
    Der Junge hatte seine Autos. Aus dem Haus dröhnte Mammas Küchenradio, der Bariton eines ihrer Geistlichen. Bei allem Cajun-Katholizismus zeigte sie, sobald es ums Radiohören ging, durchaus ökumenische Tendenzen. Hin und wieder wurde die Predigt unterbrochen durch Werbung für ortsansässige Firmen und Produkte, die ich bei Zabar’s noch nie gesehen hatte: Zatarian’s Wonderful Fried Fish, Mello-Joy-Markenkaffee, Boudreaux-Wundsalbe.
    Nachdem es morgens kurz geregnet hatte, war die Luft etwas frischer, und in der Bambushecke raschelte sogar ein schwacher Wind. Für den Moment machte die friedliche, langsame Gangart im Süden von Louisiana mir überhaupt nichts aus.
    Irgendwann

Weitere Kostenlose Bücher