Am Fuß des träumenden Berges
dem Gouverneur des Protektorats ihre Ehe geschlossen haben, doch war sie zweifellos in seinem Herzen die Frau, die er liebte. Die Frau, mit der er jede Krise bewältigen wollte.
Er blickte auf, als jemand klopfte. «Bwana Winston?» Die kleine Mary steckte den Kopf durch die Tür. Sie wirkte seltsam verlegen.
«Komm rein, Mary.»
Es passierte selten, dass das Dienstmädchen bei ihm auftauchte. Wenn das geschah, musste etwas Dringendes sein.
Sie schob sich ins Arbeitszimmer und ließ die Tür offen stehen. Zugleich hielt sie sich nahe der Tür auf, um jederzeit fluchtbereit zu sein.
Das war sie vermutlich auch. Obwohl sie schon so lange bei ihnen lebte, hatte Mary ihr Misstrauen ihm gegenüber nie aufgegeben. Tim Ricket musste doch ein grausamer Brotherr gewesen sein, wenn sie sich immer noch vor jedem weißen Mann so fürchtete.
«Ich habe im Rock von der Memsahib etwas gefunden.» Sie trat nur langsam näher. «Die Memsahib hat mal versucht, mir lesen beizubringen, darum weiß ich ein bisschen über die Buchstaben. Und das hier ist für dich, Bwana.»
Sie legte einen Briefumschlag auf den Schreibtisch. Er war alt und vergilbt, die Schrift fast zur Unkenntlichkeit verblasst. Trotzdem konnte Matthew deutlich seinen Namen ent
,,,,,,,,,,,33333333333333,02
,.
Ein dicker Brief.
«Danke, Mary.»
Sie machte einen Knicks. Matthew bedeutete ihr, dass sie gehen dürfe, und sie war schnell wie der Blitz aus der Tür.
Nachdenklich drehte er den Umschlag hin und her. Merkwürdig … Warum trug Audrey einen alten Brief mit sich herum? Und was konnte so Wichtiges darin stehen, dass sie es ihm nicht sagte, sondern aufschrieb?
Vielleicht hatte sie ihm den Brief zu Beginn ihrer gemeinsamen Zeit geschrieben, als sie gerade in The Brashy eingetroffen war. Und dann hatte sie ihn vergessen und heute zufällig wiedergefunden.
Er nahm den Brieföffner vom Tisch und schlitzte den Umschlag auf. Drei doppelseitig eng beschriebene Bögen. Die Schrift wirkte runder und kindlicher, und als er begann, die ersten Zeilen zu überfliegen, wurde ihm plötzlich eiskalt.
Er stand auf, ging zur Tür und schob sie zu. Dann kehrte er zum Schreibtisch zurück und begann von vorne.
Mein lieber Matthew,
heute erreichte mich dein Brief vom 17 . Februar 1910 – ich danke dir für deine Zeilen. Wusstest du, dass drei andere Briefe ihn überholt haben? Verglichen mit diesem wussten sie mir nur Nichtigkeiten zu erzählen.
Doch ehe ich auf deine Frage eine Antwort formuliere – von der ich glaube, dass wir beide sie schon kennen, weil Verstand und Gefühl es einfach gebieten –, muss ich dir etwas erzählen. Etwas, das dich erschrecken wird und ja, ich fürchte, es wird dich auch an mir zweifeln lassen. Wenn es so ist, Matthew, ich bitte dich: Zögere nicht, dies auszusprechen. Ich wäre die Letzte, die kein Verständnis dafür hätte. Ich wäre froh und glücklich, wenn du mich willst, ohne davon zu wissen. Und wenn du diese Zeilen liest und danach noch immer daran festhältst, mich zu dir nach Afrika zu holen … Dann wäre ich sprachlos, und ich wäre voller Dankbarkeit, weil du bereit bist, eine Frau mit einem Makel zu nehmen. Ich will dir so gern versprechen, dass du es nicht bereuen wirst.
Letztes Jahr war ich bereits mit einem anderen Mann verlobt. Im Juli hat er die Verlobung gelöst. Es gab gute Gründe für diese Entscheidung, wenngleich es nicht die Gründe waren, die ein Mann sonst anführt, um ein Verlöbnis zu lösen. (Darum musst du dir keine Sorgen machen.)
Es passierte während der gemeinsamen Sommerfrische an der Ostsee auf der Insel Rügen. Seine Eltern hatten unsere Familie dorthin eingeladen, damit wir uns besser kennenlernen, und um die Hochzeit zu planen, die im Herbst stattfinden sollte. Benjamin von Hardeberg war ein preußischer Offizier, und wir hatten uns sehr gern. Während unsere Eltern also die meiste Zeit auf der Terrasse des Hotels verbrachten – sie verstanden sich prächtig –, gingen wir spazieren. Wenn wir nicht spazieren gingen, ging ich mit den Kindern an den Strand.
Mein jüngerer Bruder Alfred und Benjamins Bruder Rudolf waren im selben Alter. Zwei Lausbuben, die schon bald unzertrennlich waren und ständig neue Streiche ausheckten. An einem Morgen klauten sie einem Fischer ein Boot, das am Strand lag. Bis heute weiß ich nicht, wie die beiden es geschafft haben, das Boot ins Meer zu schieben, oder wie es ihnen gelang hinauszurudern. Aber das Boot war leck, und es füllte sich rasch mit
Weitere Kostenlose Bücher