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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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Audrey Collins, S. S. Berwick Castle, Suez».
    «Für mich?»
    Doch der Steward war schon verschwunden. Er ging über das Deck und notierte die Bestellungen der anderen Passagiere.
    Sie erkannte die Schrift nicht sofort, weil sie nicht damit gerechnet hatte, so bald wieder von ihm zu hören. Aber dann wusste sie, wer ihr geschrieben hatte. Und ihr Herz machte einen Satz. Einen großen.
    Matthew.
    Warum schrieb er ihr? War etwas passiert? Wollte er sie auf halber Strecke davon abhalten, nach Ostafrika zu kommen?
    Bestimmt. Sonst würde er sich kaum die Mühe machen. Es gab doch nichts, das nicht warten konnte, bis sie in Mombasa von Bord ging.
    Oder doch?
    Er will mich nicht mehr.
    Sie riss den Umschlag voller Ungeduld auf, so wie man sich ein Pflaster von der Wunde reißt. Sie musste es schnell hinter sich bringen. Wenn er sie nicht mehr wollte, ertrug sie keine Minute länger die Ungewissheit, die in seinem verschlossenen Brief lauerte.
    Meine liebe Audrey,
    schrieb er. Sie schloss die Augen. Bis hierher war noch alles ganz und gar normal.
    nicht ganz zwei Wochen bist du nun auf See, und zehn weitere Tage liegen vor dir, ehe du in Mombasa von Bord gehst. Ich schreibe dir heute, weil ich vermute, dass dir die Reise wohl irgendwann lang wird, und ich hoffe, mit diesen wenigen Zeilen jeden noch so kleinen Zweifel auszuräumen, der sich auf hoher See deiner bemächtigen könnte.
    Sie atmete tief durch. Also schickte er sie nicht fort. Im Gegenteil: Als spürte er ihre Unsicherheit und ihre Angst, versicherte er ihr aufs Neue, wie sehr er sich auf sie freute.
    Die drei Seiten seines Briefs waren voller Wärme, und er schloss mit Worten, die ihr jeden Zweifel nahmen.
    Bald beginnt unser gemeinsames Leben, liebste Audrey. Darauf freue ich mich sehr.
    Nicht mehr ganz zehn Tage, bis sie ihn endlich kennenlernen würde. Obwohl sie längst das Gefühl hatte, ihn zu kennen. Sie vertraute ihm.
    Er würde schaffen, woran sie nicht mehr geglaubt hatte: dass sie glücklich wurde.
     
    Der letzte Abend an Bord. Audrey machte sich für das Dinner am Kapitänstisch zurecht.
    Während der Überfahrt war sie mit ihrer Kabinengenossin Alva Lindström recht gut ausgekommen. Sie hatte das ständige Grollen der alten Frau geflissentlich überhört, wenn sie sich über den Weg liefen. Meist war Alva jedoch vor ihr auf den Beinen und längst verschwunden, wenn Audrey morgens aufwachte. Abends schlief sie schon unter dem Deckenberg, den sie sich über die Wochen hinweg vom Steward erschnorrt hatte, weil sie behauptete, ständig zu frieren. Je weiter sie nach Süden kamen, desto weniger Verständnis brachte sie auf für die fröstelnde, alte Dame, die auf dem Weg zu ihrem Bruder nach Südafrika war.
    An diesem letzten Abend aber überraschte Alva sie. Sie polterte in die Kabine, kramte in ihren abgewetzten Reisetaschen, setzte sich auf ihr Bett und schaute erwartungsvoll zu Audrey, bis diese den Wandschirm abrückte und zu ihr sah.
    «Ich hab hier was für Sie», sagte Alva. Ihre Stimme klang klar und warm.
    «Für mich?» fragte Audrey erstaunt.
    «Ich hab Sie in den letzten Wochen immer mit Ihren Büchern gesehen und dachte, das hier könnte Ihnen gefallen. Mein Mann hat es mir geschenkt, Gott sei seiner Seele gnädig.»
    Widerstrebend nahm Audrey das schmale Bändchen, das Alva ihr reichte.
    «A. E. Housman?» Der Name sagte ihr nichts. Sie wollte das Buch aufschlagen, doch Alva schüttelte den Kopf. «Nicht», sagte sie. «Lesen Sie’s, wenn Sie allein sind. Wenn Sie Trost brauchen oder einfach nicht weiterwissen. Diese Gedichte wussten für mich immer eine Antwort.»
    Audrey nickte. Zögernd legte sie das Buch auf den Toilettentisch. Doch das genügte Alva nicht. «Stecken Sie es in Ihre Tasche, Miss. Sie dürfen es auf keinen Fall vergessen, hören Sie?»
    So eindringlich klang sie, dass Audrey widerspruchslos gehorchte.
    Danach frisierte sie sich in aller Eile und kam etwas verspätet und mit geröteten Wangen in den Speisesaal. Tante Rose und Onkel Reggie saßen bereits am Tisch des Kapitäns. Er machte die Gäste an seinem Tisch miteinander bekannt, soweit sie sich nicht bereits kannten. Ein etwa vierzigjähriger Mann mit schmalem Schnauzbart und pomadierten, schwarzen Haaren erhob sich halb und beugte sich galant über ihre Hand.
    «Mr. Jack Ellesborough und Gattin», hörte Audrey den Kapitän sagen. Sie schaute ihn an. Und dann wusste sie es. Sein Blick und die Art, wie er ihre Hand eine Sekunde länger umfasst hielt, als es

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