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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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Kinyua wartet draußen.»
    «Er soll bitte ins Haus kommen.» Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Das nicht auch noch, dachte sie verzweifelt. Ich schaffe es nicht, mich jetzt auch noch mit dem Obersten der Kikuyu zu streiten.
    «Ich sage es ihm, Memsahib.»
    Sie wartete. Draußen wieder Stimmen. Sie erkannte den zarten Singsang zweier Kikuyu, und dann nackte Füße auf den Dielenbrettern.
    «Er kommt nicht, Memsahib. Aber vielleicht brauchst du auch eher mich.»
    Audrey blickte auf. In der Tür stand, stark und schön, Wakiuru.
    Die Halbschwester Kinyuas hatte sich in den Jahren, seit Audrey sie zum letzten Mal gesehen hatte, überhaupt nicht verändert. Sie war noch genauso üppig, fröhlich und alterslos. Wie alt mochte sie sein? Dreißig? Fünfunddreißig? Ihr schien die Zeit nichts anzuhaben.
    «Mein Junge ist krank», flüsterte Audrey.
    Wakiuru trat näher. Sie hatte ein Bündel unter den Arm geklemmt, das sie jetzt auf den Boden legte. «Ich weiß», sagte sie leise. «Das wissen wir alle.» Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: «Das Fieber ist zurück in unserem Dorf.»
    Dann war Chris nicht der Einzige.
    «Hast du versucht, ihm die Medizin zu geben, mit der du Mukami geheilt hast?»
    Audrey schüttelte den Kopf. «Das war alles, was ich noch davon hatte. Ich …» Sie verschluckte sich an den Tränen. Herrgott, wieso nur hatte sie Kinyua dieses fiebersenkende Mittel gegeben! Damit könnte sie Chris jetzt Linderung verschaffen.
    Wakiuru und sie blickten einander an. Sie wussten beide, dass nicht die Temperatur das Problem war. Es gab Mittel und Wege, auch ohne die Segnungen moderner Medizin Fieber zu senken. Aber das Gelbfieber war tückisch, und manchmal kam es mit noch mehr Wucht zurück und tötete den Kranken, der sich schon auf dem Weg der Besserung wähnte.
    Trotzdem empfand sie plötzlich unbändige Wut. Auf Kinyua, der sie gebeten hatte zu helfen. Auf Mukami, die gesund geworden war. Auf Wakiuru, die sie daran erinnerte.
    Am meisten aber hasste sie sich selbst, weil sie das alles zugelassen hatte. Nach Mukamis Genesung hatte sie viel zu schnell vergessen, dass das Gelbfieber überall lauerte. Dass es jederzeit wieder zuschlagen konnte.
    «Wir kümmern uns um ihn.» Wakiurus Stimme klang sehr sicher. Sie öffnete ihr Bündel, in dem sich verschiedene verkorkte Beutel und Päckchen befanden. Sie wählte ein Päckchen aus. «Davon einen Sud», sagte sie. «Den soll er trinken, dreimal am Tag.»
    Audrey nickte. Wakiuru war hier, das war besser als nichts. Solange der Arzt nicht kam, konnte Wakiuru sich um Chris kümmern.
    Alles wird gut, redete sie sich ein.
    Doch als sie in der Küche stand und den Wasserkessel erhitzte, ertappte sie sich dabei, wie sie die Hand an seine Metallwand legte. Wie sie der Hitze nachspürte, die nach oben stieg und immer schlimmer wurde, bis sie es kaum mehr aushielt. Und dann ließ sie die Hand so lange dort ruhen, bis sie weinen musste, weil es so verdammt weh tat.
    Bitte, lieber Gott, lass ihn nicht sterben.
    Sie hatte schon einmal dieses Gebet geflüstert, vor vielen Jahren immer wieder, als sie Alfred aus dem Wasser gezogen hatten. Damals hatte sie geglaubt, etwas Schlimmeres könne ihr im Leben nicht mehr widerfahren.
    Sie hatte sich geirrt.
     
    Das Fieber sank nicht, sosehr Wakiuru auch ihre Zauber wob und ihm den Kräutersud einflößte. Audrey wachte die ganze Nacht an seinem Bett, und am nächsten Morgen war sie so verzweifelt, dass sie sich am liebsten ein Pferd genommen und nach Nyeri geritten wäre, um diesen verdammten Arzt eigenhändig herzuschleifen.
    Er traf am Nachmittag ein, mit einer glänzenden, schwarzen Arzttasche, im Sattel eines Pferds, das am Zügel tänzelte, einen Kneifer auf der Nase und einer hochmütigen Miene auf dem Gesicht, in die sie am liebsten geschlagen hätte.
    «Warum kommen Sie erst jetzt?», fragte sie. Er ließ sich den Weg zum Krankenzimmer zeigen und schritt voran, als habe er sie gar nicht gehört. «Wer sind Sie?», fragte er.
    «Das sollte ich eher Sie fragen! Sind Sie etwa Arzt? Wo ist Dr. Morton?»
    «Ah, da haben wir ja den kleinen Patienten.» Der Mann ignorierte sie völlig. Audrey packte ihn am Arm und riss ihn zu sich herum. «Sprechen Sie mit mir!», verlangte sie.
    Erst jetzt sah er sie an. Er erfasste ihre fettigen, rötlich braunen Haare, das magere Gesicht und das Kleid, das in den letzten vierundzwanzig Stunden sichtlich gelitten hatte. Aber was erwartete er denn von ihr? Dass sie ihm im

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