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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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sah. Ab und zu kam ein Auto vorbei, aber alle taten, als bemerkten sie ihn nicht. Chico indes verlor nicht den Mut. Er nahm seine Taschenlampe und einen Reservekanister aus dem Kofferraum und machte sich zu Fuß auf den Weg. Wir sind in Lugano - das gibt’s nicht, dass im Umkreis von fünfhundert Metern nicht irgendwo eine Tankstelle zu finden ist. Das wird immer interessanter, dieses Abenteuer. Nass bis auf die Knochen, die Finger und Zehen kurz vor dem Abfrieren, in tiefer Nacht und beim Schneefall des Jahrhunderts auf der Suche nach einer Tankstelle: nicht schlecht. Und obendrein erwartete ihn in Villa Luganese, quasi als Sahnehäubchen obendrauf, ein distinguierter Anwalt und Mehrfachmörder.
    Im Dampf über De Marchis Kräutertee tauchte alles auf und wieder unter. Er schlief schon halb. Was konnte er tun, außer den Morgen abwarten und eine Meldung herausgeben? Er wusste es nicht, aber seine Polizeinase wusste es. Und im dunklen Büro flüsterte sie ihm zu: Heute Nacht, Kommissär, heute Nacht entscheidet sich alles.
     

25
    An einem Sommerabend
    Adele Fontana zog sich Schuhe, Strümpfe, Rock, Pullover, Bluse aus. Alles war triefend nass. Dieser verdammte Schnee. Wenn es nach ihr ginge, würde sie den Winter im Süden verbringen.
    Zum Glück war das Haus gut geheizt. Sie zog einen Morgenrock an, ging wieder hinunter, schenkte sich ein Glas Portwein ein und streckte sich im dunklen Wohnzimmer auf dem Sofa aus. Sie war mit einer alten Freundin unterwegs gewesen und wusste selbst nicht mehr genau, wie sie den Rückweg nach Villa gemeistert hatte. Nicht nur wegen des Schnees, sondern auch weil sie nicht mehr ganz nüchtern war. Um die Wahrheit zu sagen, war sie sogar leicht betrunken.
    Nicht schlimm, nein. Sie hatte gerade so viel getrunken, wie es braucht, um einen Abend mit einer alten Freundin zu überstehen. Ein bisschen Weißwein, ein paar Martinis. Per attraversare la notte a piedi e truffare la malinconia - um zu Fuß durch die Nacht zu kommen und die Melancholie zu überlisten. Lucio Dalla. Wie ging noch mal dieses Lied? Sie summte ein paar Töne, bewegte dazu die Hände in der Luft, dann sagte sie zu sich: »Ach, jetzt reicht’s aber.«
    Sie ging wieder nach oben und stellte sich unter die heiße Dusche, und sie fühlte sich wie eine Erfrorene, die neu geboren wurde. Sie zog ihren Bademantel an und betrachtete sich im Spiegel. Sie war noch immer eine schöne Frau. Was tat sie bloß in Villa Luganese? Ein Dorf auf halber Höhe am Berg, wahrlich kein Ort für alleinstehende Damen. Sondern ein Land für Männer mit Think-Pink-Hosen, Golden Retrievers und dicken Porsche-Cayennes, mit denen sie abends aus der Stadt zurückkehrten.
    Und sie?
    Sie schlug den Bademantel auseinander. Ein Körper noch reich an Verheißungen, dachte sie. Auch wenn ich den fünfzig näher bin als … Ah, vor allem hab ich zu viel getrunken. Dennoch wollte sie nicht gleich ins Bett, sondern noch ein wenig in Fantasien schwelgen...
    Desolina war zwar keine nahe Verwandte gewesen, sondern eine Tante ihres verstorbenen Mannes, die sie im ganzen Leben nur zwei, drei Mal beim Spanienurlaub gesehen hatte, doch ihr gewaltsamer Tod hatte sie tief erschüttert. Und die Vorstellung, dass sich ein Mörder Zutritt zu ihrem Haus verschafft hatte, mitten in Villa Luganese, am helllichten Tag … Gar nicht dran denken. Lieber gar nichts denken, sondern …
    Das Läuten der Türglocke zerriss den Zauber. Adele ernüchterte mit einem Schlag. Sie verknotete den Gürtel ihres Bademantels, ging nach unten und spähte durch den Spion an der Tür. Nicht ohne Verblüffung erkannte sie den Anwalt Giorgio Calgari, den sie nach Desolinas Tod zusammen mit Contini gesehen hatte. Was will der denn hier, um diese Zeit? Aber eigentlich gar nicht schlecht, netter als ein Frauenabend. Und sie war schließlich noch ein bisschen betrunken. Also machte sie ihm auf und fragte: »Na so was, Herr Rechtsanwalt, was für eine Überraschung. Haben Sie sich einsam gefühlt?«
    Calgari war leicht überrumpelt; mit diesem Empfang hätte er nicht gerechnet. Er räusperte sich. Sein Blick versank im klaffenden Ausschnitt des Bademantels und hob sich rasch wieder.
    »Entschuldigen Sie bitte die späte Störung, Signora Fontana. Ich … also ich helfe der Polizei bei den Ermittlungen über Contini. Wie Sie wissen, ist es bis jetzt nicht gelungen, ihn festzunehmen, und nachdem er mehrfach bei mir in der Kanzlei war, würde ich …«
    »Würden Sie?«
    »Also, mir ist plötzlich ein

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