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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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fahndete nach Contini. Und vor allem war die Polizei in Lugano, und Lugano war in dieser Nacht sehr weit weg. Zu weit.
    Sich mit einem Fleischmesser bewaffnen, sich in der Küche einsperren?
    Hatte er mitbekommen, mit wem sie telefoniert hatte? Sie erinnerte sich nicht, ob sie Continis Namen erwähnt hatte. Vielleicht saß er ja noch drüben im Salon, und sie konnte Zeit gewinnen, bis Contini eintraf. Sie lächelte probeweise in die Fensterscheibe. Sie musste das Risiko eingehen. Wenn er sie gleichmütig sah, würde Calgari denken: Sie weiß nichts. Wenn sie sich hingegen in der Küche verbarrikadierte, konnte sie ihm auch gleich sagen, dass sie alles wusste, und dann …
    Adele war bereit. Fast bereit - Contini hatte sie um etwas gebeten. Zwar wusste sie nicht, ob sie sich dazu in der Lage fühlte. Allerdings ging sie kein Risiko ein, falls Calgari noch im Salon saß. Sie musste in den ersten Stock hinauf, hinter dem Gemälde im Arbeitszimmer nachschauen und wieder herunterkommen, das alles in zwanzig Sekunden.
    Sie dachte an Desolina. Die von Spanien die weite Reise ins Tessin auf sich genommen hatte, um hier einen grausamen, einsamen Tod zu erleiden, hinterrücks erschossen in ihrem Zimmer...
    Zwanzig Sekunden. Das war nicht viel. Er saß dort drüben mit seinem Glas Portwein. Barfuß schlich Adele die Treppe hinauf. Sie hastete durch den dunklen Flur bis zur Tür des Arbeitszimmers. Allein, dachte sie, ich bin allein, mit einem Mörder allein im Haus. Ringsherum Berge von Schnee, ich allein im Bademantel und in meinem Wohnzimmer ein Mörder, der Portwein trinkt.
    Ohne Licht einzuschalten, betrat sie das Arbeitszimmer. An der Wand ihr gegenüber hing ein Bild eines Tessiner Malers. Es war eine rote Leinwand, der Farbauftrag ein gleichmäßiges, ganz eigenes, eigentümliches Rot. Genau das, was es für einen behaglichen Arbeitsplatz braucht. Allein im Haus, Allmächtiger, allein mit einem Mörder. Was mach ich nur, was mach ich?
    Sie blieb vor dem Bild stehen. In ihren Ohren dröhnte es. Sie versuchte, ruhig zu atmen, stand aufrecht, mit hängenden Armen. Im nächsten Moment spürte sie kaltes Metall am Hals. Sie zuckte zusammen. Sie wollte herumfahren, aber er hielt sie fest, und vor ihren Augen erschien der schwarze Lauf einer Pistole. Scheiße, dachte sie.
    »Untersteh dich zu schreien, Schlampe«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    Sie wagte kaum zu atmen.
    »Das also«, sagte er lauter, »ist das berühmte Bild. Weißt du, was dahinter ist?«
    Adele schüttelte den Kopf. Er drehte ihr grob die Hand auf den Rücken. Der Schmerz schoss hinauf bis in die Schulter, sie fürchtete, er könnte ihr den Arm ausrenken. Tränen traten ihr in die Augen.
    »Dahinter ist die Wahrheit«, sagte er, heiser. »Verstehst du?«
    Er verdrehte ihren Arm noch stärker, und es entfuhr ihr ein kleiner Schrei.
    Es war ein Sommerabend, der Himmel bewölkt. Wir waren alle sehr nervös. In den nächsten Tagen wollten sie das ganze Dorf unter Wasser setzen. Ein paar Frauen weinten, manche schleppten noch immer Sachen aus ihren Häusern.
Am nächsten Tag sollte frühmorgens eine letzte Kontrolle stattfinden, und das war’s dann. Du warst bereits in Corvesco, wo dann auch ich hingezogen bin. Dein Vater hatte mich für den Abend eingeladen, er hatte noch zwei Flaschen im Keller, die letzten, sagte er, die trinken wir zum Abschied vom Dorf. Und ich ging nach dem Abendessen zu ihm hinüber, bevor ich mein Haus für immer verließ. Aber als ich dort ankam, hörte ich Stimmen und dachte: Aha, noch mehr Gäste. Ich horchte. Nicht aus Neugier - ich wollte nicht spionieren, wirklich nicht. Aber ich dachte: Wenn ich sie nicht kenne, wenn es keine Leute aus dem Dorf sind, dann geh ich wieder, ich will nicht stören.
Ich trat also ans Fenster, das offen stand. Ich trat ans Fenster und hörte die Stimmen von Ernesto Contini, Luigi Martignoni und Giorgio Calgari. Das kann ich beschwören. Ich warf auch einen kurzen Blick hinein. Sie standen drinnen in der ausgeräumten Stube und stritten.
    Das Auto schlitterte, protestierte, als wollte es umkehren. Aber Contini stieg aufs Gas, wechselte den Gang und kam, fast wie durch ein Wunder, durch jede Kurve, ohne steckenzubleiben.
    Jetzt war es nicht mehr weit. Die letzten Serpentinen vor Villa. Die Straße war unkenntlich. Der Schnee deckte alles von Menschenhand Geschaffene zu, verbarg Häuser und Straßenschilder. Contini hatte das Gefühl, sich in unerforschtes Gelände vorzuwagen.
    »Wie weit noch?«, fragte

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