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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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Francesca.
    »Wir sind bald da.«
    »Hat dir Signora Fontana geglaubt?«
    »Ja. Hoffentlich schon.«
    »Hat sie Calgari etwas gesagt?«
    »Hoffentlich nicht.«
    Seine Rettung lag jetzt in den Händen von Adele Fontana. Die Straßen waren hier besser beleuchtet, und Contini nahm an, dass sie sich dem Ortskern von Villa näherten. Es kam ihm vor, als hätten sie eine stundenlange Autofahrt hinter sich.
    »Hast du Angst?«, fragte sie.
    »Hm«, brummte er. »Ich hoffe, ich schaff’s. Aber …«
    »Ja.« Francesca nickte. »Sicher.«
    Contini schaltete wieder und gab Gas. Sie hatten die letzte Kurve vor Villa Luganese hinter sich.
     
    Es fällt mir schwer, mich zwanzig Jahre zurückzuversetzen und mir alles noch einmal so vor Augen zu führen, wie es an jenem Abend geschehen ist. In der langen Zeit, die seither vergangen ist, habe ich zu vergessen versucht. Elia, ich hoffe, du verstehst mich - mögen die Toten die Toten bestatten: Wir Lebenden haben das Recht und die Pflicht weiterzuleben. Wäre ich zur Polizei gegangen, hätte er dich ebenfalls umgebracht, daran hat er keinen Zweifel gelassen. Außerdem war ich allein - meine Aussage gegen die eines angesehenen Anwalts, der sich in allem Juristischen auskennt: Hätte man mir geglaubt, wenn ich erzählt hätte, was ich gesehen habe?
Jedenfalls sind da die Dokumente, die ich dir jetzt übergebe. Ich hatte sie fast vergessen, verdrängt wie die Erinnerung - Hefte, alte Pässe, Zeitungsausschnitte, Fotos. Außerdem Martignonis Aussage über Calgaris krumme Geschäfte. Ein verwendbarer Beweis ist das wohl nicht, aber vielleicht reicht es aus, damit die Polizei argwöhnisch wird. Wenn sie gegen RA Calgari ermitteln, werden sie am Ende erkennen, dass er auch den Bürgermeister Pellanda und den Ingenieur Vassalli umgebracht hat.
    »Alles erlogen«, rief Calgari, der seine Lektüre unterbrach. »Die Alte redet irr.«
    Adele Fontana, die neben ihm stand, spähte auf die mit Desolinas ordentlicher Handschrift beschriebenen Blätter. Währenddessen ging sie im Kopf die möglichen Fluchtwege durch. Aber Calgari, obwohl in Anspruch genommen, ließ sie nicht aus den Augen: In der einen Hand hielt er Desolinas Bekenntnis, mit der anderen richtete er die Pistole auf sie.
    Dann jedoch schien Calgari ihre Gedanken zu lesen, denn er legte die Papiere ab und befahl ihr: »Komm her!«
    Er packte sie mit dem linken Arm, in der Rechten hielt er die Waffe. Wahrscheinlich würde er sie gleich erschießen, dachte Adele, zuvor aber würde er ihr noch klarmachen, wie überlegen er ihr war und wie sehr er sie verachtete; sie hoffte inständig, dass Contini bald käme. Er war ihre letzte Hoffnung.
    Calgari zwang sie, sich niederzuknien. Mit einer Hand hielt er ihr die Pistole an die Schläfe und las weiter.
     
    Dein Vater hatte wegen gewisser Bemerkungen dieses Finzi, des Teilhabers von Rechtsanwalt Martignoni, Verdacht geschöpft. Tatsächlich kannte Ernesto beide, und mit Martignoni war er befreundet. Deswegen hatte er sich an einen früheren Kollegen bei der Polizei um Rat gewandt und seinem Freund empfohlen, die Augen offen zu halten.
An besagtem Abend hörte ich die beiden Anwälte streiten. Martignoni sagte zu Calgari: Das ist mir scheißegal, ich zeig dich jetzt an. Calgari versuchte ihn zu beschwichtigen und sagte, das sei alles wesentlich komplizierter, sie hätten nicht die leiseste Ahnung, und überhaupt hätten sie kein Recht, sich in seine Angelegenheiten einzumischen. Dein Vater machte sich Sorgen, und Martignoni schrie herum wie verrückt.
Es ging auch noch um einiges andere, nicht nur um Finanzbetrug. Leider ist meine Erinnerung getrübt, obwohl mir jetzt, wo ich darüber schreibe, manches wieder einfällt.
Ich wollte wieder gehen, es schien mir wirklich nicht angebracht, in diese Situation hineinzuplatzen. Aber dann hörte ich Martignoni schreien: Jetzt langt es, ich zeig dich an! Und er fügte hinzu: Jetzt gehe ich! Und er kam zur Tür, und ich drückte mich an die Hauswand und dachte: Ich warte hier, bis er weg ist, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen. Aber dann hörte ich Calgari sagen: Du träumst, wenn du glaubst, ich lasse dich einfach zur Polizei marschieren. In einem hässlichen Tonfall.
    »Das Beste ist, dass sie sich ja gar nicht richtig erinnert, die alte Schachtel«, rief Calgari aus. »Gleich nennt sie noch meine Krawattenmarke.«
    Sie stritten weiter, und irgendwann schrie Martignoni so laut, dass ich dachte, das hört man noch zehn Häuser weiter. Calgari

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