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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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halbwüchsigen Jungen von damals.
    »Ich weiß es«, hatte er Polizisten und Psychologen versichert, »wenn mein Vater weggegangen ist, kommt er nicht mehr zurück. Er ist so.«
    Nie hatte er einen Jugendlichen so über seinen vermissten Vater reden hören. So entschieden. So resigniert.
    Er ist so .
    Ernesto Contini hatte als Polizist mit Laffranchi zusammengearbeitet, bis er den Dienst quittiert hatte. Nachdem er verschwunden war, hatten ihn seine ehemaligen Kollegen lange und mit vollem Einsatz gesucht - natürlich hatten sie ihn gesucht! Aber dieser Junge hier hatte von Anfang an gewusst, dass es sinnlos war … Und jetzt saß Laffranchi in diesem mit Krimskrams vollgestopften Büro vor einem erwachsenen Mann mit steinerner Miene und hatte Mühe, den Jungen von einst wiederzuerkennen. Er rückte auf seinem Stuhl hin und her und sagte: »Ja, ich trinke auch ein Bier, danke.«
    Contini holte zwei Hürlimann aus dem Kühlschrank und schenkte zwei Gläser voll.
    »Also«, sagte er und reichte Laffranchi ein Glas, »Sie sagten, dass damals niemand nachgeprüft hat, woher dieses Geld kam.«
    Laffranchi hatte ein schönes, asketisches Gesicht, das durch die grauen Schläfen weiser und durch das Mexikanerschnurrbärtchen verwegener wirkte. Letzteres war sein ganzer Stolz, und ehe er antwortete, fuhr er sich mit dem linken Zeigefinger glättend darüber.
    »Schauen Sie, Signor Contini, Tatsache ist, dass wir damals nicht wegen Geldwäscherei ermittelten. Natürlich - nachdem Martignoni verschwunden war, kamen auch seine Veruntreuungen ans Licht.«
    »Gab es Beweise?«
    »Natürlich … Schon dass er abgehauen ist, spricht Bände, nicht? Natürlich gab es auch Briefe, Unterlagen. Aber um dem Weg des Geldes nachzuspüren …« Der Kommissär räusperte sich. »Wir haben’s versucht, auch Signor Finzi hat es versucht, aber es ergab sich nie eine Verbindung, und am Ende blieb uns nur ein Faden in der Hand, der nirgendwohin führte.«
    »Also, damit ich es recht verstehe. Martignoni verschwindet, nach einer Weile zeigt ihn sein Teilhaber Finzi an, weil er verdächtige Gelder entdeckt hat, von denen er selber angeblich nie etwas wusste. Sie ermitteln, finden Beweise, aber von der Kohle keine Spur mehr. Hat denn niemand Finzi verdächtigt?«
    Laffranchi nahm einen Schluck Bier. Er ist so . Noch immer war es ihm nicht gelungen, hinter Continis ungerührtem Tonfall das Kind wiederzufinden, das er damals kennengelernt hatte. Er stellte seine Fragen, als wäre ihm die Antwort egal: eine Technik, die auch Laffranchi beherrschte. Er beschloss, offen zu sein - immerhin war das eine der wenigen Gelegenheiten, um in die Vergangenheit zurückzukehren, ohne sich schuldig fühlen zu müssen.
    »Wir haben Finzi überprüft. Wir haben das Geld gesucht, wir haben Martignoni gesucht und auch Ihren Vater, Signor Contini. Gott weiß, wie lange! Was soll ich Ihnen sagen? Erinnern Sie sich an die Ermittlungen? Erinnern Sie sich an unsere Fragen?«
    Contini nickte. Für den Bruchteil einer Sekunde sah der Kommissär in Continis Augen die steinerne Gefasstheit des Jungen aufblitzen. Ich weiß es , sagte er, die Hände im Schoß gefaltet. Wenn mein Vater weggegangen ist … Aber im nächsten Moment fragte Contini: »Rauchen Sie, Herr Kommissär?«
    »Nicht mehr.«
    »Stört es Sie?« Der Detektiv deutete auf seine Zigarettenschachtel.
    »Nein, nein, rauchen Sie nur. - Wissen Sie eigentlich«, fragte er, während sich Contini eine Zigarette anzündete, »wie ähnlich Sie Ihrem Vater sind?«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, Sie sind hagerer, als er war, aber Sie haben die gleichen hellen Augen, das gleiche, ein bisschen spitze Gesicht … Sie tragen sogar einen ähnlichen Schnurrbart.«
    »Und an mich erinnern Sie sich nicht?«
    »Doch, natürlich.« Laffranchi nickte, auf der Welle seiner Erinnerungen reitend. »Ich war zwar schon damals ein alter Hase, wissen Sie, aber Ihre Reaktion hat mich doch verblüfft. Sie haben kaum was gesagt, haben nie den Blick gesenkt, haben die Hilfsangebote der Psychologen ignoriert, aber fast den Eindruck gemacht, als ob … ich weiß nicht, als hätten Sie auf etwas gewartet. Ich dachte damals: Dieser Junge hier wird früher oder später wieder anfangen, seinen Vater zu suchen. Hatte ich Recht?«
    »Ich hab’s versucht, vor Jahren«, antwortete Contini in einer Rauchwolke. »Aber ohne große Überzeugung. Ich hab dran gedacht, die Spur der Geldwäscherei zu verfolgen, bin Gerüchten nachgegangen, hab mir das Gerede der Leute

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