Am Grund des Sees
Von ihm stammten nicht nur die Pläne für die erste Erweiterung, er hatte auch den zweiten Ausbau geplant - sollte er je umgesetzt werden. Vassalli war Junggeselle und stolz darauf - kein Single , wie man heute zu sagen pflegt, sondern ein Junggeselle alter Schule bis ins Mark hinein. Nachdem er Stammgast in den Kneipen des Bleniotals war, kam ihm früher oder später alles zu Ohren, was die Leute über ihn redeten.
Das ist auf dem Mist des Bürgermeisters gewachsen, der hockt doch tief drin im politischen Filz.
Den Stauseeausbau hat er sich ausgedacht, damit sein Schwager ein neues Projekt hat.
Der Bürgermeister hat Vassallis Schwester geheiratet, und jetzt versorgt er ihn mit Aufträgen.
Wahrscheinlich hat sie ihren Mann angespitzt.
Er wollte ja nicht, aber …
»Verfluchtes Geschwätz!«, rief Vassalli eines Februarabends aus, nachdem er sich das Gerede lange Zeit schweigend angehört hatte.
Luigino Bianchetti, der Wirt, glättete seinen Kinnbart und sagte: »Das weiß ich doch, Sandro, aber die Leute reden halt …«
»Ich scheiß auf die Leute!«, schrie Vassalli. »Glaubst du vielleicht, ich weiß nicht, was sie reden?«
»Natürlich.« Bianchetti schluckte. »Aber reg dich nicht auf, trink lieber noch einen Nocino, da, ich spendier dir …«
» Ich reg mich aber auf! «, brüllte Vassalli und sprang auf. Er war nicht groß, aber stämmig und muskulös, und wenn er in Wut geriet, schwollen ihm die Adern im Hals. Luigino Bianchetti war mit Leib und Seele Wirt und wusste, dass manche Gäste sich austoben müssen, während man andere lieber schnell zu beschwichtigen sucht, bevor sie sich zu sehr hineinsteigern. Vassalli gehörte zur zweiten Kategorie.
»Jetzt sei doch nicht so, Sandro. Deine Freunde wissen ganz genau, dass es nicht stimmt.«
»Ich scheiß auf meine Freunde!!«
»Aber Sandro …«
»Ich habe ein gut gehendes Planungsbüro, was bilden die sich eigentlich ein - dass ich es nötig hätte, bei meinem Schwager um Arbeit zu betteln? Ich wollte ihn doch überhaupt nicht, diesen verdammten Auftrag! Er hat mich förmlich bekniet, weil …«
»Ich weiß«, sagte Luigino in Vassallis Suada hinein.
»Was weißt du?«
»Äh …«
»Nichts weißt du, gar nichts!«
»Nichts.«
»Seit zwanzig Jahren beschäftige ich mich mit diesem verdammten Staudamm, ist dir das klar?! Wer kennt sich besser aus als ich?! Wer sonst hätte es diesmal machen sollen? He? Außerdem - wie wär’s mit ein bisschen Respekt vor den Toten, wenn man schon vor den Lebenden keinen hat!«
Die Frau geht, scheint’s, fremd.
Ihr Bruder säuft, und deswegen …
Ein Dieb und ein Vagabund, das sag ich euch!
Nein, nein … der Ingenieur verkehrt in schlechter Gesellschaft ...
»Das verstehst du nicht«, sagte Vassalli zum Wirt und nahm wieder auf dem Barhocker Platz. »Dieses ewige Getratsche … und jetzt auch noch die Polizei, und dieser Schnüfflerfuzzi, der überall seine Nase hineinsteckt!«
»Es ist wirklich eine Schande«, kommentierte Luigino kopfschüttelnd.
»Aber glaubst du, einer , ein einziger von diesen Mistkerlen hat die Courage und sagt es mir ins Gesicht?!«
Mit gutem Gespür für den richtigen Zeitpunkt und einem in jahrelanger Übung erworbenen Taktgefühl schenkte Luigino sich und Vassalli je ein Gläschen Nusslikör ein.
»Hm«, sagt der Ingenieur, »du wirst schon sehen, das sag ich dir, du wirst es sehen!«
»Zum Wohl!«
Luigino hob sein Glas und nahm einen Schluck. Vassalli war überredet.
»Zum Wohl!«
Contini schlug einen Pfad ein, der aus dem Dorf Malvaglia hinaus- und in die stockfinstere Nacht hineinführte. Gehen Sie einfach der Musik nach, hatte Signora Pellanda gesagt, und wirklich vernahm Contini irgendwann hinter dem Rauschen des Regens den Klang einer Fanfare.
Er ging einen Feldweg entlang, versuchte den Pfützen auszuweichen und ließ sich von seinem Gehör leiten. Nach einer Weile stand er auf einem betonierten Platz, und die Musik war ganz nah. Auf der einen Seite des Platzes standen ein Dutzend Autos und dahinter, ein wenig zurückgesetzt, eine Holzbaracke mit erleuchteten Fenstern.
Contini öffnete leise die Tür und trat ein. Die Musiker probten in einem von wenigen Glühbirnen erhellten, mit Heizstrahlern notdürftig gewärmten Raum. Rund zehn Frierende, die Hände tief in den Taschen, bildeten das Publikum. Der Detektiv drückte sich in eine Ecke und sah sich nach Alessandro Vassalli um. Nach Auskunft seiner Schwester spielte Vassalli Tuba und war also nicht schwer
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