Am Grund des Sees
Frau …
Aber geh! Jetzt bloß nicht weich werden. Zu lange hatte er sich mit Zweifeln herumgequält. Jetzt brauchte es Mut! Gleich am nächsten Tag, nahm er sich vor, würde er Contini mailen. Er hatte ihm so viel zu sagen! Bei ihm konnte er frei von der Leber weg reden, ihm konnte er seine geheimsten Gedanken anvertrauen und auch seinen Stolz. Er hatte ein Gelübde getan und es gehalten. Ganz einfach. Was gab es da groß zu verstehen. Mit verträumtem Blick streckte er eine Hand zur Wand aus. Er berührte Elia Continis Gesicht. Er lächelte.
»Du stehst auf meiner Seite«, flüsterte er. »Das weiß ich!«
8
Ein Brief aus Spanien
Contini versuchte zu raten - schließlich war er kein Profi -, musste aber das Handtuch werfen.
»Also spuck’s aus: Was hast du hineingetan?«, fragte er Piero.
Es war ein Nachmittag im Februar, und Contini war der einzige Gast. Piero hatte für sie beide etwas gekocht, das aussah wie Spaghetti mit Öl, Knoblauch und Chili, aber das war es nicht.
»Bottarga«, sagte Piero.
»Bottarga?«, fragte Contini. »Was zum Teufel ist das?«
Piero verdrehte die Augen zum Himmel.
»Und du willst ein Detektiv sein! Bottarga ist der Goldstaub des Meeres, es ist … wie soll ich sagen … wie Kaviar, aber viel, viel besser! Es ist der Rogen der Meeräsche oder des Thunfischs: gewaschen, gesalzen, gepresst und in der Sonne getrocknet. Eine Götterspeise!«
Contini lag die Frage auf der Zunge, was denn eine »Meeräsche« sei, aber er wollte dem armen Piero keinen weiteren Schock versetzen. Deshalb sagte er nur: »Gut!«
»Es wird über die Spaghetti gerieben, ganz wenig, eigentlich ist es nur ein Drüberzuckern! Köstlich, nicht wahr?«
»Köstlich«, bestätigte Contini und trank einen Schluck Wein.
Später, nach dem Kaffee, kehrte Contini ins Büro zurück. Über die Seepromenade kroch in Schrittgeschwindigkeit eine nicht abreißende Autoschlange: Die Stadt Lugano war inzwischen zu jeder Tages- und jeder Jahreszeit eine Gefangene des Verkehrs. Contini beglückwünschte sich, dass er zu Fuß unterwegs war. Das Sonnenlicht glitzerte auf dem See und funkelte auf den Dächern der über die Hänge des Monte Brè hingebreiteten Häuser. Als er sich anschickte, die kleine Treppe zu seinem Büro hinaufzusteigen, stellte er fest, dass sein Spion abgesenkt war: Das war eine mechanische Vorrichtung an der Eingangstür, die ihm verriet, ob ihn oben jemand erwartete.
Der rückwärtige Eingang verbarg sich hinter einem mächtigen Forsythienbusch. Contini umrundete ihn und betrat lautlos sein Büro, lautlos spähte er durch den Türspalt, um zu sehen, wer im Wartezimmer saß.
Es war Francesca.
Contini riss die Tür auf und sagte: »Ciao! Hast du etwa einen Job für mich?«
Francesca fuhr erschrocken zusammen. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Nein … aber ich hab mir den heutigen Nachmittag freigegeben.«
Sie setzte sich auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch. Sie trug einen schwarzen Pullover und einen weißen Rock über schwarzen Strumpfhosen, hatte ihr Haar zusammengebunden, und Contini fand, dass sie sehr jung aussah.
»Hm.« Der Detektiv trat ans Fenster und blickte auf den See hinaus. »Ich hatte vor, mich heute mit der Malvaglia-Sache zu befassen.«
»Schon wieder?«
Contini gab keine Antwort. Francesca stand auf und trat zu ihm ans Fenster. Sie schlang einen Arm um ihn.
»Was ist los?«, fragte sie. »Beunruhigt dich was?«
Francesca spürte ihn erstarren. Mehr denn je war sie sich der unsichtbaren Mauer bewusst, die ihn von der Welt trennte.
»Wie kommst du denn voran mit den Ermittlungen über deinen Vater?«, fragte sie.
»Na ja.«
»Denkst du, dass Pellandas Tod irgendwas mit dem Staudamm zu tun hat?«
»Hm.«
»Was heißt ›hm‹?« Francesca wurde nervös. »Wieso sagst du nichts?«
»Weiß nicht«, antwortete er. »Ich weiß nichts. Hör zu, Francesca …«
»Was ist?«
»Nichts. Möchtest du was trinken?«
Francesca setzte sich wieder, während Contini Kaffee machte.
Wollte er allein sein? Natürlich war er es nicht gewöhnt, seine Zweifel zu teilen, so wenig wie seine Freuden. Auch wenn er körperlich anwesend war, weilte ein Teil von ihm immer irgendwo im Ausland, weit fort vom Austausch üblicher Gefühle und Zärtlichkeiten.
»Weißt du was?«, platzte Francesca heraus. »Wir sollten öfter was unternehmen. Unter Leute gehen.«
»Findest du?«
»Wir sehen uns einmal in der Woche, und dann schweigen wir uns an.«
Contini betrachtete sie mit einem
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