Am Haken - Ein maximalistischer Roman ueber das Leben die Liebe und den grossen Hecht
Leib.
Das ist ein Dingeldiding und ein Schlabber-schlabber.
Nein, eigentlich ist es gar nicht so schlimm. Meine Eltern sind gut durchtrainiert und in Form, dafür, dass sie Mitte vierzig sind. Das liegt sicher an all den Mühen auf der Matte mit dem silberfarbenen Ball. Aber dennoch ist nicht mehr alles so straff wie bei einem Zwanzigjährigen. Es hängt ein bisschen hier und schlabbert ein bisschen da.
Jerry liebt sie und sie lieben Jerry. Aber die Begrüßung selbst ist auch für ihn ein wenig schwierig. Er beugt sich so weit vor, dass nur sein Kopf Kontakt mit ihren Köpfen nimmt.
»Ihr seht gut aus!«, plappert er nervös.
»Findest du?«, antwortet mein Vater und reibt sich über seinen fast flachen Bauch. »Gesundes Essen, keine Kohlenhydrate, ökologischer Lebensstil, du weißt schon.«
Meine Mutter kichert zufrieden, wobei sie mit dem Hintern wackelt, und ich bekomme eine Gänsehaut und schließe für fünf schwindelerregende Sekunden die Augen. »Wir versuchen die gefährlichsten E-Stoffe im Essen zu vermeiden«, sagt sie. »Man ist, was man isst.«
Wir setzen uns und Mutter zeigt auf die Heringszubereitungenin den verschiedenen Geschmacksrichtungen – Gewürzhering, Pfefferhering, Kräuterhering, Knoblauchhering, Curryhering plus plus. Nicht zu vergessen das, was meine Mutter »vegetarischen Hering« nennt, wobei ich nie verstanden habe, was das sein soll. Sie kauft die Heringe im Ganzen, säubert und filetiert sie eigenhändig und legt sie auch selbst ein. Und glaubt daran, dass auch Jerry gerne Hering isst.
Falls doch nicht, ist er zumindest so höflich, dies nicht zuzugeben.
»Herrlich!«, sagt er. »Lecker!«, sagt er. »Ungewöhnlich!«, sagt er und schmatzt und lächelt und spült mit Saft nach und redet über Heringe, als wäre er ein Experte auf diesem Gebiet. »Es sind die Vitamine & Wirkstoffe & all die fantastischen Öle, die diesen Fisch zu dem Gesündesten machen, was man essen kann«, erklärt Jerry. »Habt ihr schon mal drüber nachgedacht, wie es dem Fisch geht, wenn er durchs Wasser schwimmt & all die leckeren Nährstoffe schluckt & uns nur als wackelpuddingartige Formen an der Wasseroberfläche wahrnimmt, & wie er zusammenzuckt, wenn so ein riesiger Holzklotz von einem Kahn über ihm vorbeizieht. Ganz zu schweigen von den Motoren, die gurgeln & Geräusche machen, die für Fischohren bestimmt ganz merkwürdig klingen – aber vielleicht haben sie ja gar keine Ohren & keinen Hörsinn, so wie wir uns das vorstellen – vielleicht hört sich das für sie so an, wie …«
Jerry kann über jedes Thema unendlich lange reden, auch wenn er keine Ahnung davon hat.
»Übrigens haben Bud & ich ein Projekt für diese Woche«, sagt er. »Wir wollen den Riesenhecht fangen. Bud soll mir alles übers Angeln beibringen & zusammen wollen wir den alten Kerl aufs Kreuz legen.«
»Ja, wenn es überhaupt jemand schafft, dann du, Jerry«, lächelt meine Mutter und nippt an ihrem Kaffee.
»Ich habe ein richtig gutes Gefühl. Es wird ja wohl nicht so schwer sein, so einen lächerlichen Fisch zu fangen?«, grinst Jerry. »Und ich verspreche euch, dass wir jeden Tag genügend Fische für eine gute Mahlzeit fangen werden. Und das hier wird uns dabei helfen!« Er wirft Waldens Buch auf den Tisch.
»Das ist ein richtiger Junge!«, stellt mein Vater fest und nimmt das Buch in die Hand. Er wirft meiner Mutter einen begeisterten Blick zu, wobei beide sicher denken: Besteht wohl die Möglichkeit, das Modell Bud gegen das Modell Jerry zu tauschen? Vielleicht bin ich ja paranoid, aber nach dem Feuer in der Schule habe ich das Gefühl, dass meine Eltern ziemlich häufig solche Blicke wechseln.
»Fisch soll gut gegen Orangenhaut an den Oberschenkeln sein«, sagt meine Mutter und will schon aufstehen, um Jerry zu zeigen, dass an ihren Oberschenkeln noch keine Spur von einer Apfelsine zu entdecken ist. Doch da klingelt zum Glück (zu meinem Glück) das Handy meines Vaters. Er springt vom Tisch auf und wirft dabei die Kaffeetasse um, sodass meine Mutter beinahe glühend heißen Kaffee an nicht zu benennende Stellen bekommt. Sie rettet sich, indem sie schnell ihren Stuhl nach hinten schiebt.
Während mein Vater telefoniert, zieht er seine Kreise im Garten. Das ist kein angenehmes Gespräch. Sein Gesicht wird immer röter und die Kreise, die er zieht, werden immer kleiner.
Schließlich legt er auf, kommt zurück, setzt sich mit heruntergezogenen Mundwinkeln und schenkt sich so hastig den Kaffee ein,
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