Am Haken - Ein maximalistischer Roman ueber das Leben die Liebe und den grossen Hecht
Ørnen, also den Korkenzieher, den Halbmond, den Neuner, den Adler und so weiter. Ich selbst habe erst vier bis fünf von ihnen gesehen.
19. EIN SCHWARZER TAG
Mit 99%iger Wahrscheinlichkeit werden wir den Riesenhecht nie fangen. Daher habe ich auch keine große Lust, Jerry dorthin zu schleppen, wo die bekannten Hechtgewässer liegen. Wir gehen nur bis zum ersten See nach dem Digern.
»Was ist denn so schlecht am Digern?«, fragt er, während wir an ihm vorbeilaufen. Er späht über die schwarze Wasserfläche.
»… äh … es bringt Unglück … hier zu angeln«, brumme ich und bekomme selbst eine Gänsehaut – und das an einem warmen, hellen Sommertag. Das Wasser ist schwarz und von gekrümmten Schatten bedeckt. Der Digern hat so einen Sog an sich, der mir Angst macht. Einen Sog, der an tote Menschen und Unglück erinnert.
Wir kommen zum Bassenget, dem Bassin. Und der Waldsee sieht wirklich aus wie ein Bassin. Er ist länglich und hat die Form eines Vierecks. Auf allen Seiten führen die Ufer langsam zum Wasser hinunter, als wäre der See aus der Reveheia ausgeschachtet worden.
Ich zeige Jerry, wie man die Angel vorbereitet, spanne die Schnur und befestige den Köder.
Ich setze ihm ein Käppi auf. »Wozu ist das denn gut?«, fragt er.
»Warte nur ab«, antworte ich und wir werfen zum ersten Mal aus. Ich zeige ihm, wie wichtig der Schwerpunkt und das Gleichgewicht sind.
Hebe die Rute und führe sie nach hinten.
Den Finger auf der Spule.
Lasse Rute und Körper nach vorn schnellen.
Gehe sozusagen im Wurf mit.
Sehe, wie der Haken und die Leine weit draußen verschwinden.
Das heißt – Jerrys Leine und Haken sausen nach vorn und treffen mit einem schönen »Splosch« auf die Wasseroberfläche.
Der Haken an meiner Leine dagegen bleibt im Gebüsch hinter uns hängen. Ich muss mich abmühen, ihn loszubekommen.
Nachdem ich Jerry das wenige beigebracht habe, was ich über Angelruten, Leinen und den Wurf weiß, sagt er: »Du kannst so viel, Bud. Ich bin beeindruckt. Da komme ich als eingefleischte Stadtratte an & erfahre tausend Dinge, von denen ich nicht die geringste Ahnung hatte, & mir wird klar, dass das hier eine eigene Welt für sich ist, von der ich bisher nichts wusste – während du ganz ruhig & souverän dastehst & auswirfst, als hättest du dein ganzes Leben lang nichts anderes getan, & das ist einfach toll anzusehen. Du solltest dich selbst sehen! Du bist der Boss, Bud. Und was für ein BOSS! Warum hast du mich bis jetzt noch nie mit auf eine Angeltour genommen?«
Ich genieße den Augenblick und fühle mich tatsächlichein wenig wie ein Weltmeister, trotz des missglückten Versuchs. Und er hat recht. Wir haben noch nie zusammen geangelt. Irgendwie hatten wir nie die Zeit dafür.
Ich mache einen guten zweiten und dritten Wurf, lande mit dem vierten aber wieder in den Büschen. Knurre, ziehe und zerre. Schließlich muss ich die Leine kappen, weil ich sie nicht herausbekomme.
Währenddessen wirft Jerry. Er holt die Leine ein und wirft erneut. Und er ist gut. Das muss ich zugeben. Das ist nicht nur Anfängerglück. Er ist ein Naturtalent.
Ich befestige einen neuen Köder an der Leine und hole aus.
Aber dieses Mal nimmt der Haken meine Mütze mit ins Wasser.
»Ach so«, sagt Jerry und versucht, nicht zu lachen. »Die Käppis sind dafür da, dass man den Haken nicht in den Nacken kriegt. Genial, Bud! Pass auf, mein Käppi fliegt bestimmt auch gleich hinterher.«
Doch dem ist nicht so.
Jerry ist ein Siegertyp.
Für mich ist und bleibt es ein schwarzer Tag, ganz gleich, wo ich mich auch befinde. Schon mit der E-Mail von Starbokk heute Morgen war dieser Tag zum Scheitern verurteilt.
Kann es noch schlimmer kommen?
Ja, das kann es.
Noch schlimmer.
20. EIN NOCH SCHWÄRZERER TAG
»Hallo!«, ruft es direkt hinter uns und ich bin kurz davor, vor Schreck ins Wasser zu fallen.
Es ist ein Mädchen. Sie ist wohl so achtzehn, neunzehn Jahre alt, mit schwarzem Haar, das sie zu einem Zopf geflochten im Nacken trägt. Sie läuft in so einem kakifarbenen Anzug herum, wie ihn nur die härtesten Waldburschen tragen, und sieht aus, als wäre sie zwischen den Bäumen aufgewachsen. Eine Mischung aus Tarzan und Rambo – in weiblicher Ausgabe. Sie wiegt vielleicht genauso viel wie Selma. Aber die Kilos sind an ganz anderer Stelle platziert. Hier ist die Rede von einem gut durchtrainierten Mädchen. Sie hat solide Bizeps, Trizeps, Schenkel und Waden. Sie sieht aus, als würde sie jeden
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