Am Haken - Ein maximalistischer Roman ueber das Leben die Liebe und den grossen Hecht
dem Gras ein, während die MOT O-Show weiter redet, verkauft, kauft, diskutiert, rattert und Lärm macht – alles um mich herum. Ich tauche in den besten Schlaf ein, den ich seit mehreren Jahren gehabt habe.
Ich denke nicht mehr an Maggie, an Jerry und Selma und an alles, was ich hätte tun sollen oder was ichgern getan hätte oder hätte tun müssen, wenn ich nur gewusst hätte, wie ich es hinkriege, keine Maus mehr zu sein.
Ich wache auf, weil die Lautsprecheranlage der Freilichtbühne einen hohen Pfeifton von sich gibt. Jemand hustet ins Mikrofon, dass die Trommelfelle erzittern.
Ich höre meinen Namen.
10. VOM SCHERZ ZUM REINEN ERNST
»DER KLEINE BUD MARTIN MÖCHTE SICH BITTE AN DER BÜHNE MELDEN!«, ertönt es.
Ich schüttele Schlaf und Wolken ab und öffne die Augen.
»DER KLEINE BUD MÖCHTE SICH BITTE AN DER BÜHNE MELDEN. SEINE ELTERN SUCHEN IHN. KOMMT DER KLEINE BUD BITTE ZUR BÜHNE?«
Mir wird kochend heiß und ich wünsche inständig, dass die Wolke, die wie eine Gießkanne aussah, jetzt eiskaltes Wasser über mir ausgießen könnte.
Ich wünschte, ich wäre ein Maulwurf und könnte mich eingraben.
Wie haben meine Eltern mich – uns – hier auf der MOT O-Show nur gefunden?
Sind sie nach Hause gekommen, haben gesehen, dass das Auto weg ist, haben eins und eins zusammengezählt und sich ausgerechnet, wo wir sind?
In Gedanken sehe ich mich selbst auf der Landstraße wandern, einen Rucksack geschultert. JedesMal, wenn ein Auto kommt, strecke ich den Daumen hoch und versuche zu trampen. Ich bin von zu Hause weggelaufen, um niemals wieder zurückzukehren.
Ich wünschte, ich hätte mich getraut, das zu tun.
Um irgendwo anders allein von vorne anzufangen. Einen neuen Namen annehmen. Als Mechaniker in einer Werkstatt anfangen, in der niemand Fragen stellt. In einem dreckigen Zimmer über der Werkstatt schlafen. Allein vom Vogelgezwitscher aufwachen. Den ganzen Tag arbeiten, ohne dass jemand erwartet, dass ich auch nur ein Wort sage.
Oder etwas tue, was ich nicht will.
Oder mein Zimmer aufräume.
Oder ein Haus streiche.
Oder ein Mädchen bezirze.
Ein Leben, das mir ganz allein gehört.
Stattdessen holt die Lautsprecherstimme mich zurück in das Leben, das leider meines ist. Es sitzt ein Haken in meinem Hintern und zieht mich aus dem sicheren Wasser heraus. Und in diesem Augenblick kann ich mir vorstellen, wie es dem großen Hecht geht, der da unten im Wasser herumpaddelt. Er ist allein und genau so will er es haben. Deshalb ist er jedes Mal sehr vorsichtig, wenn er nach etwas schnappt.
Dem großen Hecht geht es genau wie mir – er ist zufrieden mit dem Leben im Halbdunkeln.
Aber ab und zu begeht der Hecht einen Fehler. Er beißt doch an.
Und dann sitzt dieser Hecht – der Bud-Hecht – leider am Haken fest und kommt nicht mehr los.
Ich stehe mühsam auf, bürste mir Gras und Erdevon den Beinen, trotte zwischen den Zelten hervor und gehe zur Bühne. Ich sehe meine Eltern nicht, aber den Mann, der da oben steht und von dem »kleinen Bud« gelabert hat.
Ich gehe zu ihm und zupfe ihn am Ärmel.
»Okay«, sage ich. »Ich bin Bud.«
»Hä?«, sagt er und kann die Tatsache nicht verbergen, dass er einen schlaksigen Zehnjährigen erwartet hat, stattdessen jedoch ein Teenager von mehr als hundert Kilo vor ihm steht.
»Surprise!«, ruft es hinter mir.
Ich drehe mich abrupt um, Jerry und Selma grinsen mich an. »Ich habe gewusst, dass dir dieser Scherz gefallen wird«, sagt Jerry und klopft mir auf die Schulter. »›Selma‹, habe ich gesagt, ›Bud liebt practical jokes. Das wird er für Jahre nicht vergessen.‹ Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen, als du zur Bühne gelatscht bist & gedacht hast, dass Mama & Papa irgendwo da stehen & auf dich warten, & du am liebsten gestorben, im Boden versunken wärst & dir gewünscht hast, nur ein kleiner Pups zu sein, der sich in Luft auflöst. Das werde ich nie vergessen.«
So geht es in einem fort, bis Selma sagt: »Vielleicht solltet ihr mal an die Beule denken, Jungs. Buds Mutter wird sich bestimmt nicht freuen, wenn sie die sieht. Leider habe ich Frank hier noch nicht gesehen. Frank kann so eine Beule im Handumdrehen wegkriegen.«
Deshalb sind wir die nächsten Stunden auf der Suche nach einem Beulenwegmacher. Ohne Erfolg.
»Das wird schon gut gehen, Jungs«, sagt Selma nervös, als wir uns vor dem Messegelände voneinanderverabschieden. Sie, um auf dem Moped zu einem netten Familienabend nach Hause zu fahren.
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