Am Haken - Ein maximalistischer Roman ueber das Leben die Liebe und den grossen Hecht
intelligent wie meine »Ugh ugh«-Antworten am Tag zuvor.
Wir kommen überein, uns in einer halben Stunde an der Bushaltestelle zu treffen. Ich schleppe meinen Körper unter die Dusche und mein Kopf wird langsam klar.
Ich esse fünf Scheiben Brot. Mein Magen ist leer wie eine verlassene Doppelgarage, da ist es dringend nötig, Flüssigkeit und feste Nahrung aufzunehmen. Ich schnappe mir eine Packung Kekse und gieße Kaffee in eine Thermoskanne, bevor ich mich auf den Weg zu Selma mache.
»Ich bin so verzweifelt«, sagt sie, sobald ich mich gesetzt habe. »Du musst mir helfen.«
»Nun ja«, sage ich. »Vielleicht war es ja nicht besonders schlau, Jerry eins zu verpassen.«
»Ich? Ich soll ihm eine verpasst haben?«, erwidert sie überrascht. »Das war ich nicht, die ihn verprügelt hat. Das war Maggie.«
»WAS?«, rufe ich aus.
»Er hat sich vorgebeugt, um sie auf den Mund zu küssen«, berichtet Selma.
»WAS?!«, ist meine Antwort. Ja, ich weiß, was er über Maggie und seine Gefühle für sie gesagt hat. Trotzdem kann ich es nur schwer ertragen, Einzelheiten zu hören.
»Er hat sie doch rausgelockt – ganz nach hinten in den Garten«, sagt Selma. »Wir haben eine Bank dort, unter einer Eiche, mit Blick auf den See. Ist richtig hübsch da. Und da saßen sie nebeneinander und haben miteinander geredet. Ich habe sie von Weitem beobachtet. Und als ich noch ungefähr zehn Meter entfernt war, hat Jerry sich zu ihr gebeugt, eine Hand um ihren Kopf gelegt und sie zu sich herangezogen. Und als er sie gerade küssen wollte, hat sie ihm die Hand gegen die Stirn gedrückt und versucht, ihn wegzuschieben. Und als er nicht aufgegeben hat, da hat sie ihm links und rechts eine gefeuert. Die Schläge hättest du sehen sollen!«
Selma hat jedes Detail mitbekommen. In meinem Kopf spielt sich die Szene ab und ich muss glucksen bei der Vorstellung, wie Jerry ein paar gut platzierte Schläge ins Gesicht bekommt. Aber ich reiße mich sofort zusammen, als Selma mir einen tief verletzten Blick zuwirft.
»Und dann hat er wohl etwas gesagt, was sie total geärgert hat, denn sie hat noch einmal zugelangt und ist dann durch das hintere Gartentor verschwunden. Gerade, als ich bei ihnen angekommen bin«, fährt Selma fort.
Ich sehe, wie sie mit den Tränen kämpft, da sie in ihn verliebt ist, in diesem Blödhammel, der versucht, mit einer anderen zu knutschen.
Und das ist so traurig. Und das tut so weh.
Und so sollte Selmas vorletzter Tag daheim in Tipling nun wirklich nicht aussehen. So sollte ihre Party nicht ablaufen. So darf das Leben nicht sein. Ganz gleich, ob sie nun ein Fernsehsternchen wird, schick, dünn und glücklich. Die Selma, die ich hier vor mir sehe, ist ein kleines Wrack.
»Ein Keks?«, frage ich ratlos und halte ihr eine zerknitterte Packung hin.
»Danke«, sagt sie und gräbt einen Keks mit Zitronenfüllung hervor.
Sie schiebt ihn in den Mund und versucht zu kauen, aber ein wahrer Schwall an Tränen schießt ihr aus den Augen und zugleich aus Nase und Mund. Und sie vergräbt ihren Kopf in den Händen und ich weiß nicht, was ich tun soll, bin hilflos, weil ich keine Ahnung habe, was man mit Mädchen tut, die weinen.
»Ich fühle mich soooooo verletzt«, schluchzt sie und wirft sich mir an den Hals.
2. DUMM UND DÜMMER, DAS IST DAS MOTTO DES TAGES
Es duftet nach Selma. Es duftet nach Mädchen. Wäre sie nicht mein bester Kumpel und mein unglücklichster Kumpel, ich hätte vielleicht ein Fünkchen Eifersuchtverspürt, weil dieses tolle Mädchen sich in einen anderen verliebt hat.
Was soll ein Mann mit einem Mädchen machen, das weint?
Das macht mich vollkommen hilflos.
Ich kann nur mich selbst zurate ziehen – das, was ich denke, und das heißt: Dumm und dümmer. Ich kann Selma einfach nur umklammern.
Vorsichtig lege ich ihr meine Hände auf den Rücken.
Ich weiß nicht, ob man einem weinenden Mädchen den Rücken streicheln darf.
Ich traue mich nicht.
Lasse einfach ihren Kopf auf meiner Schulter ruhen.
Weiß nicht, ob man seinen Kopf vielleicht an ihren lehnen könnte.
Traue mich nicht.
Wir sitzen etwas schief da, unbequem, und es tut mir im Kreuz weh.
Ich weiß nicht, ob ich die Stellung ändern darf, sodass sie besser in meinen Armen liegt.
Traue mich nicht, etwas zu verändern.
Sicher erwartet sie von mir, dass ich etwas sage.
Ich suche in meiner Wörterliste im Gehirn, um etwas Passendes zu finden.
Finde sogar ein paar Sätze.
Traue mich aber nicht, solche starken Worte zu
Weitere Kostenlose Bücher