Am Haken - Ein maximalistischer Roman ueber das Leben die Liebe und den grossen Hecht
ist, seinen Motor in Schwung zu bringen. »Wenn wir beispielsweise – & beachte, dass ich nicht behaupte, dass wir es auf jeden Fall schaffen werden –, wenn es uns also gelingt, den Riesenhecht zu fangen, & ich ihn Maggie schenke, dann bin ich sicher, dass es perfekt zwischen uns ausgehen wird.«
»Nur wegen … äh … wegen eines Fischs?«, frage ich leicht amüsiert.
»Ja, aber das ist nicht irgendein Fisch, mein lieber Freund«, erwidert er grinsend. »Wir reden hier vom Fischchef aller Fischchefs. & den soll sie von mir kriegen! & plötzlich habe ich nicht mehr den geringsten Zweifel, dass ich das hinkriegen werde! Es geht hier nur um Einsatz & Selbstvertrauen! & das habe ich tonnenweise!«
Jerry schraubt sich in einem hysterischen Enthusiasmus hoch. Er holt aus und bald sind wir am nächsten See, am Dyptjern.
»Hier gibt es … äh … so gut wie keine Fische«, sage ich. »Das wissen alle.«
»Quatsch mit Soße! Du hast den Walden nicht von der ersten bis zur letzten Seite gelesen – aber ich. Sonst wüsstest du, dass es immer möglich ist, Fische zu fangen. Es kommt dabei nur auf den Zeitpunkt, das Wasser, die Temperatur und die Ausrüstung an. Es dreht sich um die Einstellung, Bud. Du musst wirklich alles loslassen«, erklärt er und wirft als Erster aus, dicht gefolgt von mir. Der Blinker ploppt ins schwarze Wasser und die Ringe breiten sich aus. Es erinnert an ein Ziffernblatt, dabei schaue ich heimlich auf meine Armbanduhr. Es ist halb zehn. Wir haben gut zwei Stunden Zeit.
Bereits bei meinem ersten Wurf beißt einer an. Das ist schon unglaublich genug.
»Von wegen kein Fisch, du«, grinst Jerry und zeigt mir eine Nase. »Zwar ist es wahrscheinlich nicht gerade der Riesenhecht, aber ein Fisch ist es.«
Aber was für ein Fisch. Ein kleines Ding, das jämmerlich an meinem Haken zappelt. Ich übertreffe nicht gerade die Plötze vom Montag, denn die war doppelt so groß!
Werfe erneut aus. Und es ist wie ein Wunder. Auch beim zweiten Versuch fange ich einen Fisch. Hier stehen sie unter der Wasseroberfläche Schlange. Sie haben eine Wartenummer gezogen, um anbeißen zu dürfen.
Offenbar ist das mein Tag. Endlich!
Im Laufe von zehn Minuten habe ich fünf kleine Burschen geschnappt, die im Gras neben uns zappeln. Das heißt – ich hatte noch einen sechsten. Aber der hat abhauen können. »Hm, er wird bei den anderen petzen«, murmelt Jerry. »Sag mal, was meinst du, wo der Hecht in diesem Gewässer stehen würde?«
Ich studiere den Waldsee eingehend. Betrachte das Schilf und die Tiefe weiter hinten und die lang gestreckte Untiefe links von uns. Versuche mich an das wenige zu erinnern, was ich über das Raubtier Nummer eins der Binnengewässer weiß. Was es mag und was nicht. Wo es gern steht und im Hinterhalt lauert.
»Er mag sicher solche Schilfgebiete wie das dahinten«, antworte ich und zeige auf einen dichten Schilfgürtel am schmalen Ende des Sees.
»Dann lass uns dort einen letzten Versuch machen«, nickt er und stapft davon.
»Warte!«, rufe ich hinter ihm her.
6. DAS SUMPFLOCH
Jerry dreht sich um. »Ja, natürlich sollten wir eigentlich zurückgehen«, besänftigt er mich. »Aber dieser Fisch ist meine einzige Chance, wieder Fahrwasser zu kriegen. Mit ihm wird sich alles regeln lassen. Du hast ja keine Ahnung, wie viel ich von diesem Burschen erwarte.«
»Ja, aber …« Ich versuche, zu Wort zu kommen.
»Schau dich um!«, sagt er, hebt seine Stimme undklingt wie ein religiöser Prediger. »Denk an all die Möglichkeiten überall. Überall, Bud! Hast du jemals versucht, sie dir auszumalen? Wenn du nur eine Entscheidung anders triffst als geplant, wenn du nach links statt nach rechts abbiegst, wenn du Baguette statt Muffins kaufst, wenn du die eine CD statt einer anderen wählst … – die ganze Zeit sind da Möglichkeiten, die verstreichen, & neue Wege, die sich einem öffnen, & manchmal musst du dich ziemlich bemühen, um an die neuen Möglichkeiten ranzukommen – wie ich jetzt, wo ich versuche, den Riesenhecht zu fangen. Es kostet etwas, im Leben immer an Ort und Stelle zu sein, lieber Cousin. Alles hat seinen Preis. Aber wenn du das begriffen hast, dann wird das auch dein Tag.«
Im Grunde genommen bin ich mit meinem Tag hier am Waldsee bis jetzt ganz zufrieden. Ich habe fünf Fische geangelt. »Aber hör doch …« Ich versuche es noch einmal.
»Unendlichkeiten! Myriaden! Fantasie! Das Leben an sich!« Er brüllt fast über das Wasser
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