Am Hang
vierjähriger Folgsamkeit, empfinde mein Klient die Gängelung urplötzlich als Scheidungsgrund. – Loos ging nicht darauf ein, er summte vor sich hin. Ich hatte erstmals den Wunsch, ihn zu duzen. Was summen Sie? fragte ich. – O wie schön ist deine Welt, sagte er, ein Schubertlied, ein Lieblingslied meiner Frau. – Das habe ich fast angenommen, sagte ich, Sie sehen die Welt ja anders. – So ist es, man hat sich harmonisch ergänzt. – Ob diese Harmonie denn nie durch Streit getrübt worden sei, fragte ich und zog den Reißverschluß hoch. – So selten, sagte er, daß ich keinen vergessen habe, am wenigsten den letzten, bei dem es um Gurkengläser ging. – Um Gurkengläser? – Um leere Essiggurkengläser, sagte Loos, der jetzt seinerseits fertig war. Der Fall könnte Sie interessieren, ich meine juristisch. Im Paketfach, das früher Milchkasten hieß, im Paketfach unseres Briefkastens stand eines Tages ein leeres Gurkenglas, am übernächsten Tag ein zweites. Zuerst empfand ich die Gläser als eine Art scherzhaften Gruß, nach einem Monat aber, als ich bereits ein gutes Dutzend entsorgt hatte, wurde ich ungehalten. Gleichzeitig merkte ich, daß ich fast etwas enttäuscht war, wenn das Glas ein paar Tage lang ausblieb. Nach weiteren zwei Monaten kicherte meine Frau noch immer und nannte das Problem ein nichtiges, während ich es erdulden mußte, daß diese Gurkengläser in meine Träume eindrangen. Nachts stand ich manchmal in der lichtlosen Küche, von wo aus ich den Tatort überwachen konnte, allein, der Urheber zeigte sich nie. Es ist genug, sagte ich nach dem sechzigsten Glas, ich gehe zur Polizei, bevor ich wahnsinnig werde. Weißt du, was du bist? fragte meine Frau, und ihre Augen verrieten Momente lang Unmut, wenn nicht Verachtung. Ein Bünzli bist du, sagte sie. Also habe ich keine Anzeige erstattet, und meine Frau hat sich verpflichtet, die Entsorgung auf sich zu nehmen, und nun bitte ich Sie, Herr Clarin, den Fall aus juristischer Sicht einzuschätzen.
Nicht einfach, sagte ich. Mußte der Täter Ihr Grundstück betreten oder steht Ihr Briefkasten am Straßenrand? – Letzteres, sagte Loos. – Gemäß Strafgesetzbuch kommt Hausfriedensbruch also kaum in Betracht, hingegen könnte man sich auf das Umweltschutzgesetz berufen, das die Abfallentsorgung außerhalb von bewilligten Deponien verbietet. Für die Umtriebe schließlich, die Ihnen erwachsen sind, hätten Sie nach Obligationenrecht Anspruch auf Schadenersatz, doch wie gesagt, der Kasus ist schwer einzuordnen, Sie haben gut daran getan, die Gerichte nicht zu bemühen. – Danke, sagte Loos, Sie sind bewandert, haben Sie eine Visitenkarte? Im übrigen nahm der Spuk ein Ende, schon bald nachdem sich meine Frau der Sache angenommen hatte. Sie stellte eines Abends ein Glas mit Gurken ins Paketfach, und dieses muß den Delinquenten so tief verunsichert haben, daß er nicht wiederkam. – Hat er die Gurken mitgenommen? – Nein, sagte Loos, er glaubte vermutlich, sie seien mit Gift präpariert. – Sie hatten eine kluge Frau. – Ja, sie war lebensklug, im Unterschied zu mir, sie ist mir in manchem überlegen gewesen, obwohl sie zwölf Jahre jünger war, vor allem aber war sie sanft, weshalb es, wie gesagt, nur selten zu lauten Worten kam und nur einmal zu einem so bösen wie Bünzli.
Loos keuchte, ich drosselte das Tempo. Das Gewitter schien nicht näher gekommen zu sein, und als ich schon glaubte, daß wir Agra halbwegs trocken erreichen würden, setzte der wildeste Platzregen ein. Wir waren sofort durchnäßt, so daß es keinen Sinn mehr hatte, irgendwo unterzustehn. Wir sprachen nichts mehr. Erst unter der Haustür – Loos leuchtete mit dem Feuerzeug, damit ich das Schlüsselloch finden konnte – fragte ich ihn, ob er noch Lust auf einen Schlummertrunk hätte, auf ein Kaminfeuer vielleicht. – Sie fragen aus Höflichkeit, sagte er, Sie haben morgen viel vor. – Im Moment sei ich überwach, sagte ich wahrheitsgemäß. – Wir traten ein, scheu schaute Loos sich um. Ich kann Ihnen keine trockenen Kleider anbieten, sagte ich, Sie hätten nicht Platz darin, bitte, setzen Sie sich, ich mache gleich Feuer. – Entschuldigen Sie, sagte er, ich möchte lieber gehen, ich merke, daß es Zeit ist. – Schade, sagte ich und war wirklich enttäuscht. – Man könnte sich ja morgen nochmals treffen, wenn Sie möchten, vielleicht am Abend. – Ich sagte, wiederum wahrheitsgemäß, daß mich das freuen würde und daß ich ohnehin vorgehabt hätte, den Wagen
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