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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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erst abends zu holen. Im Stehen tranken wir noch einen Cognac, ich dankte Loos für die Begleitung.
    Draußen zirpten die Grillen wieder, der Regen hatte nachgelassen, aufreißendes Gewölk gab kurz den Blick auf den Mond frei. Gute Heimkehr, sagte ich. Gute Ruhe, sagte er, und seine Gestalt, ein bärenhaft schwankender Schatten, verlor sich im Dunklen.
    Obwohl es schon fast ein Uhr war, machte ich noch ein Feuer im Kamin, zog mich dann aus und setzte mich im Morgenrock davor, um über das Erlebte nachzudenken, um mein diffuses Bild von Loos zu klären. Statt dessen aber geriet ich in ein mir fremdes Brüten über mich selbst, ich hatte plötzlich die Empfindung, empfindungsarm zu sein, lau, flach, ich war mir unangenehm. Von Zeit zu Zeit knackte ein Scheit und warf ein paar Funken. Ich trank einen weiteren Cognac.
    Irgendwann schüttelte ich mich, schob die Gluten zurück, ging zu Bett. Ich schlief so schlecht wie selten.

 
II
     
    Kein Heilschlaf also, obschon ich, sonst ein Frühaufsteher, ganze zwölf Stunden lang liegen blieb und erst gegen zwei Uhr mittags, verrenkt an Geist und Gliedern, aus dem Bett stieg. Und dabei hatte ich vorgehabt, um neun mit meiner Arbeit zu beginnen; so daß zum Unbehagen und zum Kopfweh auch noch die Selbstverachtung kam, die disziplingewohnte Menschen heimsucht, wenn sie aus Willensschwäche nicht tun, was sie zu tun sich vorgenommen haben. Es war recht kühl im Haus, und während ich den Eisenofen im Arbeitszimmer anheizte, erinnerte ich mich an meinen im Halbschlaf erstmals aufgestiegenen Verdacht, Loos’ Frau könnte sich umgebracht haben. Dies schien mir jetzt, im Wachen, noch gewisser, es erklärte plausibel Loos’ Scheu, über die Umstände ihres Todes zu reden. Ich machte mir einen starken Kaffee. Aber nimmt sich ein Mensch, der offenbar erfolgreich operiert und in die Erholung entlassen worden ist, das Leben? Und hatte Loos nicht gesagt, seine Frau habe gern gelebt? Ich trat vor die Haustür, es war trüb, es sah nach wenig erfreulichen Pfingsten aus. Die Ehe muß glücklich gewesen sein, ein Glücksfall laut Loos. – Vielleicht eine postoperative Embolie? Und da es auch postoperative Depressionen gibt, eventuell doch ein Freitod? Ich putzte im Stehen die Brille und hatte Angst, daß sie mir aus den Händen fallen könnte. Nach einem weiteren Kaffee ging ich ins Arbeitszimmer und setzte mich vor den Laptop, wo ich nach zehn Minuten merkte, daß ich nicht bei der Sache war, daß mich ein Nebel trennte von Bildschirm und Tastatur.
    Ich ging zurück in die Wohnküche, setzte mich vor den kalten Kamin, sah eine dicke Spinne über die Dielen rennen, sprang auf, schlug sie mit dem Pantoffel tot. Innendefekt. Loos hat einen Innendefekt, dachte ich, ohne zu wissen, woher mir das Wort zuflog. Ich schrieb es auf einen Notizblock. Ich notierte Wörter, Satzfetzen und Sätze zu Loos und von Loos, wirr, ohne Zusammenhang. Ich fror und ging in den Schopf nebenan, um Holz zu spalten. Vielleicht bin ich zu normal, dachte ich. Immer noch besser als halbverrückt, dachte ich. Sein Totenkult! Es würde mich nicht wundern, wenn ihre Urne auf seinem Nachttisch stünde. Manchmal stößt er mich ab, manchmal glaube ich etwas zu spüren, das verwandt sein könnte mit dem, was ein Sohn seinem gebrechlichen Vater entgegenbringt. Ich schlug die Axt in den Spaltstock, begab mich nochmals ins Arbeitszimmer und nahm einen zweiten Anlauf. Ein paar einleitende Bemerkungen zu Thematik und Intention aus dem Ärmel zu schütteln: das hätte ich sonst auch in verkatertem Zustand vermocht. Und jetzt, obwohl dank Kaffee und Alka Seltzer sogar wieder leidlich im Lot, gelang es mir nicht.
    Natürlich hätte es nahegelegen, das Treffen mit Loos abzusagen, um die Abendstunden der Arbeit zu widmen und am Pfingstsonntag früh und leichten Kopfes darin fortzufahren. Warum unterließ ich es? Gewiß nicht aus Höflichkeit oder Rücksicht. Loos brauchte mich nicht. Er war, so glaubte ich, nicht einer, der wie ein Seemann Geschichten loswerden muß, und nicht einmal sein Weltlamento schien angewiesen auf Widerhall, gar Anklang. Es konnte sogar sein, daß ich ihm lästig war und er es jetzt bereute, in einem Anflug alkoholbedingter Zuneigung ein zweites Treffen angeregt zu haben, und dies am Abend vor dem Todestag seiner Frau, einem Abend, den er, wie ich mir vorstellen konnte, dem unbehelligten Gedenken hätte widmen wollen. Für eine Absage sprach also alles – mit Ausnahme jenes Motivs offenbar, das sich als

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