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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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wenig zitterten. Ich wartete, bis die zwei Paare am Nebentisch ihre Gespräche fortsetzten, und sagte dann zu Loos, das Wort behindert klinge mir zu stark, es handle sich wohl eher um eine temporäre Verkrampfung. Nach dem Verlust seiner Frau scheine er die Erotik so unbarmherzig ausgesperrt zu haben, daß er sich jetzt, wenn sie ihn trotzdem streife, gefährdet fühle und verkrampfe. Das sei verständlich, aber schade, und zur Behinderung werde es dann, wenn er die Sperre aufrechterhalte aus falsch verstandener Treue. Ob er denn glaube, im Sinne der Verstorbenen zu handeln, wenn er sich sozusagen selbst entmanne, wenn er, womöglich bis ans Ende, ein Klosterbruderleben führe?
    Es gebe Seelensachen, sagte Loos, die sich nicht steuern ließen, bekanntermaßen, es gebe innere Behinderungen, die willensunabhängig seien und also unerreichbar für Appelle, weshalb mein Rat, die Sperre abzubauen, zwar gut gemeint, doch sinnlos sei. Etwas in ihm sei für Erotik empfänglich, er sei ein sinnlicher Mensch, und etwas in ihm betreibe Sabotage, sobald er sich dem Feuer nähere. Irrtümlicherweise hätte ich dieses zweite Etwas als falsch verstandene Treue gedeutet, aber um Treue, auch nicht um richtig verstandene, handle es sich hier nicht. Denn Treue entspringe einem Willensakt, weshalb sie als moralisches Verdienst empfunden werde, er aber wolle die Sperre gar nicht und sei im übrigen nur darum auf sie aufmerksam geworden, weil er im letzten halben Jahr, wenn auch nur selten, durchaus bereit gewesen sei, das Terrain zu betreten.
    Ich habe einen Freund, sagte ich, der glücklich verheiratet ist und der betont, es fehle ihm nichts, auch nicht im Bett. Und trotzdem läßt er sich immer wieder einmal mit anderen Frauen ein. Sein Begehren, erklärt er, sei nicht fokussierbar auf eine einzige Frau. Kurzum, er nimmt es mit der Treue nicht allzu genau, und er begleitet seine Seitensprünge mit großer Toleranz. So scheint es jedenfalls, so hat er es immer vermittelt, vor kurzem aber kam er zu mir, spätabends, angeheitert, elend. Er sagte, er grüble über eine Frage und komme zu keinem Ergebnis. Er bitte um meine Meinung sowie um Diskretion. Die Frage des Freundes lautete folgendermaßen: Das Glied, das außerhalb der Stamm-Beziehung trotz aller Lust sich nicht verhärten mag: was zeigt es an?
    Ich weiß nicht, was Sie wollen, sagte Loos schroff, mein Hemmnis ist nicht leiblicher Natur, was kümmern mich die Nöte eines Seitenspringers? – Nun, sagte ich, sie könnten darauf verweisen, daß sich die Treue, entgegen Ihrer Auffassung, nicht einem Willensakt verdankt, sondern, wie soll ich sagen, einem unterirdischen Gängelband. So sehr sich Ihre Sperre von jener meines Freundes unterscheiden mag, ich deute beide als Folge eines inneren Machtworts, das auf Treue besteht. – Ist das nicht etwas trivial? fragte Loos. – Mag sein, antwortete ich, aber muß denn das Triviale falsch sein?
    In diesem Augenblick piepste ein Handy. Loos schüttelte den Kopf und lief rot an. Ich befürchtete einen Wutausbruch. Er griff nach seiner Jacke, die über der Stuhllehne hing. Jetzt geht er, dachte ich. Er schob die Hand in eine der Außentaschen, das Piepsen verstummte. Entschuldigung, sagte er, ich habe vergessen, es auszuschalten. – Schon gut, sagte ich. – Wissen Sie, sagte er, man kann auch das ehrlich verfluchen, woran man selber teilnimmt, zum Beispiel das Leben, zum Wohl! – Ein Hoch auf die Inkonsequenz, sagte ich, sie erhält uns geschmeidig. – Sie raubt uns die Selbstachtung, aber ich sage zu meinen Gunsten: Ich habe das Ding geschenkt bekommen, und kaum jemand kennt meine Nummer. – Dann wissen Sie ja, wer Sie jetzt anrufen wollte. – So ungefähr, sagte Loos, aber zurück zu unserem Thema. Wissen Sie, meine Frau reiste ein- oder zweimal im Jahr nach England, um eine Freundin zu besuchen, die Tochter der Familie, bei der sie mit neunzehn Au-pair-Mädchen war. Da sie von diesen Besuchen nicht sonderlich viel erzählte, beschlich mich eines Tages ein mir sonst fremder Argwohn. Ich zwang meine Stimme zu einem humorigen Ton und fragte meine Frau, ob diese Freundin wirklich existiere oder am Ende ein Freund sei. Sie wurde sehr bleich. Sie schwieg so lange, bis ich vermutlich auch erbleichte, da ich glaubte, ins Schwarze getroffen zu haben. Wir hätten nie über Treue geredet, sagte sie schließlich, und deshalb habe sie angenommen, sie sei für uns selbstverständlich. Für sie jedenfalls sei Treue ein Bedürfnis, ein stiller

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