Am Hang
Treue, wie Sie sie nennen, eigentlich angst machen müßte. Hätten Sie lieber eine Frau gehabt, deren Treue durch eine Untreue erprobt worden wäre? – Sie war, wie sie war, Herr Clarin, und Sie müßten drei Leben haben, um eine Frau von solcher Wesensart zu finden, von solcher Feinheit, innerer und also äußerer. – Schön für Sie, sagte ich, daß Sie bereits in Ihrem ersten Leben fündig wurden. Unschön für mich, daß Sie so wenig von mir halten. – Ich habe nicht Sie persönlich gemeint, verzeihen Sie, sondern eher die Männer schlechthin, mich inbegriffen, ich selbst war nicht viel mehr als eine blinde Sau, obwohl ich den Vergleich nicht mag, da meine Frau mit etwas Edlerem verglichen werden müßte als nur mit einer Eichel. – Vielleicht mit einer Trüffel? fragte ich. – Das wäre schon besser, aber Schweine, soviel ich weiß, finden Trüffel problemlos mit ihrem Geruchssinn, auch wenn sie blind sind. Die Redensart, von der wir sprechen, verlöre also ihren Sinn, wenn wir die Eichel durch eine Trüffel ersetzten. Und überhaupt, ich nehme den Vergleich zurück, auch meinetwegen, denn schließlich, wenn ich das sagen darf, hat meine Frau mich ihrerseits nicht selten als Geschenk bezeichnet, und jetzt, was bin ich jetzt?
Obwohl ich Loos ansah, daß er die Frage nicht mir, sondern sich selber stellte, sagte ich, er sei vielleicht ein allzu fest verschnürtes und quasi herrenloses Paket, dem offenbar nichts daran liege, gefunden und ausgepackt zu werden. – Er habe doch, entgegnete Loos, vor zehn Minuten schon erwähnt, daß er im letzten halben Jahr gelegentlich bereit gewesen sei, sich etwas aufzuschnüren oder aufschnüren zu lassen. Zum Beispiel habe er, was mich erstaunen werde, auf ein Kontaktinserat reagiert. Es sei poetisch abgefaßt gewesen, wahrscheinlich sogar schmalzig, es sei darin von der samtenen Decke des Sternenhimmels die Rede gewesen, unter der sie, die Inserentin, einem reifen Mann zu begegnen hoffe. Deine Penelope – so sei die Anzeige unterschrieben gewesen, und das Pseudonym habe den Altphilologen in ihm so angesprochen und neugierig gemacht, daß es mit Hilfe einer Flasche Rotwein zu einem Antwortbrief gekommen sei, den er allerdings, um keine übertriebenen Erwartungen zu wecken, nicht mit Odysseus unterschrieben habe. Zwei, drei subtile Anspielungen auf den antiken Stoff habe er immerhin einfließen lassen. Nach wenigen Tagen habe die Frau sich gemeldet, telefonisch, ihre Stimme sei etwas ruppig gewesen, dafür habe sie, die Frau, zu seinem Erstaunen tatsächlich Penelope geheißen, allerdings Penelope Knödler, was ihm einen leichten Dämpfer versetzt habe, ebenso wie ihre Antwort auf seine Frage, woran er sie im Weinlokal, in dem sie sich verabredet hätten, erkennen könne. Sie habe nämlich gesagt, ihr besonderes Kennzeichen bestehe darin, daß sie nur ein Ohr auf der rechten Seite habe. Er habe beflissen gelacht, sie nahezu gellend. Aber er merke gerade, daß er zu ausführlich werde, er kürze jetzt ab. Man habe sich also getroffen, sie sei Mitte Vierzig gewesen, Bürokauffrau und an und für sich attraktiv, nur habe sie leider die Unart gehabt, sich ständig selbst zu definieren, ständig zu sagen, was ihre Art sei und was nicht. Es sei nicht ihre Art, habe sie beispielsweise gesagt, Kontaktanzeigen aufzugeben, das habe sie nicht nötig, da es für sie ein leichtes wäre, in jeder beliebigen Bar einen Mann vom Tresen zu schälen, was aber nicht ihre Art sei. Kurzum, obwohl er, Loos, unter Penelopes Art ein wenig gelitten habe, sei er nicht abgeneigt gewesen, als sie ihn noch auf ein Gläschen zu sich nach Hause eingeladen habe. Er sei ein Ausnahmefall, habe sie gesagt, als sie ihre Wohnung betreten hätten, sie gehöre nicht zu den Frauen, die einen Mann schon nach dem ersten Rendezvous in ihre Wohnung mitnähmen. Die Tür zum Schlafzimmer sei offengestanden, er habe ein enormes Bett gesehen und darauf ein enormes Deckbett mit Sternenhimmelmuster. Er, Loos, kürze jetzt ab. Penelope sei irgendwann im Bad verschwunden und nach längerem Duschen duftend zurückgekommen. Sie habe nur noch ein Hemdchen getragen, ein getigertes Sleepshirt mit Seitenschlitzen, habe sich zu ihm aufs Sofa gesetzt, sich an ihn geschmiegt und gesagt, sie sei ein Mensch, der stets aus seinem Naturell heraus agiere. Dann habe sie ihn Kuschelbär genannt. Kuschelbär muß vorher auch noch duschen, habe sie ihm ins Ohr geflüstert, wörtlich, und statt sich sofort zu verabschieden, habe er sich, von
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