Am Hang
eigene Wollen. – Ja ja, sagte Loos, sich regen bringt Segen, das sagt auch der Volksmund, das habe ich mir auch gesagt, nein eingehämmert, um mich zu überreden, nach Zakynthos zu fliegen. Sie haben mich ja nach etwaigen Reisen gefragt, nicht wahr, ich habe eine unternommen, acht Tage Zakynthos im September vergangenen Jahres, und die Vollmundigkeit des Volksmunds hat sich dabei als himmelschreiend erwiesen. Mein Urlaub war scheiße. Ich verwende das Wort bewußt, es ist das einzige vulgäre Wort, das ich je aus dem Mund meiner Frau vernahm, und auch das nur ein einziges Mal. Sie fluchte nämlich nie, sie brauchte fast nie Kraftausdrücke, es wäre aber falsch, wenn Sie jetzt denken würden, sie sei brav oder bieder gewesen, sie war nur fein, und klänge es nicht so madonnig, so würde ich sagen: rein. Sie stand eines Morgens vor dem Schlafzimmerspiegel, nackt, und meinte wahrscheinlich, die Tür zur Stube, in der ich saß, sei zu, ich könne sie nicht hören. Bekanntermaßen gibt es am weiblichen Körper bestimmte Zonen, die als Problemzonen gelten, weil sie für Fettablagerungen besonders anfällig sind. Auch meine Frau war da und dort ein bißchen fülliger als früher, und diese Zonen lehnte sie ab, während ich ihnen zugetan war. Das glaubte sie mir nicht, obwohl ich es ihr zu vermitteln versuchte. Es war ihr unangenehm, an einer solchen Stelle berührt zu werden, sie zuckte förmlich zurück, kurzum, sie stand eines Morgens vor dem Schlafzimmerspiegel und sagte ziemlich laut: Ich sehe scheiße aus.
Loos blickte über mich hinweg, abwesend, als lausche er diesem Sätzchen nach.
Als er wieder anwesend schien – ich sah es daran, daß er sein Taschentuch herausnahm, um ein paar kleine Schweißrinnsale abzutupfen, die Richtung Augenbrauen krochen –, erinnerte ich ihn an Zakynthos und fragte ihn, warum sein dortiger Urlaub nicht erfreulich gewesen sei. – Das Beschwerliche, sagte er, habe schon während des Hinflugs begonnen, da ihn die Dame, die neben ihm gesessen sei, mit Intimitäten behelligt habe. Sie sei vor kurzem geschieden worden, nach einundzwanzig Ehejahren, habe sie ihm erzählt, und jetzt sei sie daran, das Loslassen zu lernen und am Erlebten innerlich zu wachsen. Et cetera. Ob er nicht auch der Meinung sei, daß jedes Ende zugleich Neuanfang bedeute und dementsprechend auch die Chance berge, zu neuen Horizonten oder Menschen vorzustoßen. Et cetera. Er, Loos, habe so wenig wie möglich gesagt, in der Hoffnung, ihren Schwall zum Versiegen zu bringen, was aber nicht geglückt sei. Es gebe Leute, die kein Distanzgefühl hätten, kein inneres und manchmal nicht einmal ein äußeres. Wenn man mit letzteren im Stehen rede, träten sie immer näher, und sobald man mit einem Rückwärtsschritt den nötigen Abstand von zirka fünfzig Zentimetern zurückerobert habe, verkürzten sie ihn durch einen Schritt nach vorne wieder auf unerträgliche zwanzig. Er habe einen Kollegen, der ihn auf diese Weise bei jedem Gespräch mehrere Meter rückwärts durchs Lehrerzimmer treibe. Doch wie auch immer, nach der Ankunft in Zakynthos habe er die Frau aus den Augen verloren und sei erschöpft ins Taxi gestiegen, das ihn im Auftrag des Hotels abgeholt habe. Es fehle noch eine zweite Person, die im gleichen Hotel logiere, habe der Fahrer gesagt. Nach längerem Warten sei eine dürre Dame eingestiegen und habe ihm neue Leiden bereitet, indem sie schon kurz nach der Abfahrt intim geworden sei und von ihrer Scheidung zu erzählen begonnen habe. Er sei jetzt fast sicher gewesen, daß ihm sein Reisebüro verschwiegen habe, welche Zielgruppe nach Zakynthos reise. Mit zwei oder drei Fußoperationen habe die Dame ihn auch noch gequält sowie mit dem Umstand vertraut gemacht, daß sie bis zur kürzlichen Frühpensionierung Kripobeamtin gewesen sei. Im Hotel angekommen, habe es Ärger gegeben. Er habe ein Doppelzimmer mit Balkon und Meersicht gebucht gehabt, wohlwissend, in was für wandschrankgroße Dunkelzellen man Einzelreisende zu stecken pflege. So eine habe man ihm jetzt wahrhaftig zugewiesen, und nur dank stärkster Gegenwehr sei ihm am Ende Recht widerfahren. Er habe dann das Dorf erkundet, laut Reisekatalog ein stilles Fischerdorf, in Wirklichkeit nur eine lange, laute Straße mit ungezählten Tavernen, Discos und Bars. Am Abend sei er auf dem Doppelbett gesessen und habe sich gefragt, warum er hier sei. Er habe sein Hiersein als unnötig empfunden und zugleich gemerkt, daß ihn die Unnötigkeit des Daheimseins
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