Am Hang
gebeten hatte, zwei Tage lang für ihn zu sorgen, da sie ins Elsaß fahren wollte. Der Hund war eine Hündin, hieß Lara und war läufig. Deswegen gab mir die Vermieterin auch einen speziellen Abschreckspray sowie die Anweisung, die hintere Partie von Lara vor jedem Ausgang einzunebeln. Dies schien mir sowohl übertrieben als auch unsympathisch, ich unterließ es also, und diese Unterlassung hat sich als schicksalhaft erwiesen. Es war ein heller Abend im März, Lara trottete vor mir her, ich hatte sie von der Leine befreit. Da also kam mir eine junge Frau mit einem Labrador entgegen. Als uns noch etwa zwanzig Meter trennten, blieb Lara stehn. Der Labrador, an der Leine geführt, blieb ebenfalls stehn. Und dann ging alles sehr schnell. Mit einem Ruck riß sich der Labrador los und stürmte auf Lara zu. Leo, Leo! rief meine zukünftige Frau, aber Leo war nicht mehr ansprechbar, er war schon intensiv am Schnuppern, und Lara tat ihm durch Seitwärtslegen des Schwanzes ihr Einverständnis kund, worauf er sofort aufstieg. Für eine Intervention war es zu spät. Verwirrt und peinlich berührt – fast möchte ich sagen: in Scham vereint – standen wir beide daneben, und außer ein paar Entschuldigungsfloskeln wußten wir nichts zu sagen. Nun aber gab es eine Komplikation, die, wie ich mir habe sagen lassen, gar nicht so selten ist. Der Rüde nämlich versuchte nach erfolgter Kopulation vergeblich abzusteigen, er blieb in Lara wie in einem Schraubstock stecken. Ein Weilchen lang drehten die beiden Verkeilten sich lautlos im Kreis. Dann legte Leo ein Hinterbein auf Laras Rücken und drehte seinen Körper ab und um, so daß die zwei, noch immer verschweißt, jetzt Hinterteil an Hinterteil dastanden, worauf ein jeder unter Schmerzensjaulen in seine Richtung zu zerren begann. Umsonst, sie kamen nicht los voneinander. Das Schauspiel war verstörend, die junge Frau errötete in Wellen, und ich fand kein entkrampfendes Wort. Nach einer Viertelstunde, der längsten meines Lebens, erklärte meine spätere Frau, man müsse etwas tun, sonst nehme das Drama kein Ende. Ja, aber was? fragte ich, und statt eine Antwort zu geben, näherte sie sich von vorn ihrem Leo, er war nicht groß und nicht schwer, faßte ihn beidhändig um seine Flanken, hob ihn behutsam ein Stückchen hoch und zog mit einer leichten Drehbewegung an ihm. Die Sperre schien sich zu lösen, die Trennung gelang, und jeder der beiden Hunde begann jetzt sein Geschlecht zu lecken. So also lernten wir uns kennen. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn ich vor dem Spaziergang auftragsgemäß zum Spray gegriffen hätte. Nämlich nichts. Man hätte sich auf dem Feldweg gekreuzt und gegrüßt, und Leo hätte, wenn überhaupt, an Lara kurz gerochen, sich schaudernd abgewandt und dann, energisch an der Leine reißend, die Frau meines Lebens für immer aus meinem Blickfeld gezogen. Gottlob ist es anders gekommen. Gottlob hat sich die junge Frau nach dem Vorfall nicht einfach entfernt, sondern sich Sorgen gemacht. Jetzt können wir nur hoffen, hat sie zu mir gesagt, daß das Naturereignis keine Folgen hat. Naturereignis! hat sie tatsächlich gesagt, das bleibt im Gedächtnis, und mir ist sofort klar gewesen: Wenn eine derart junge Frau den Vorgang der Begattung ein Naturereignis nennt, dann ist sie ein besonderer Mensch. Ich fragte sie, ob ich sie informieren solle über die möglichen Folgen. Sie bat darum und gab mir die Telefonnummer. Sie nannte ihren Namen, ich den meinen, ihr Händedruck war angenehm. Von Liebe auf den ersten Blick kann nicht gesprochen werden, ich war nie schnell entflammbar. Wir haben uns, nachdem wir begonnen hatten, uns regelmäßig zu treffen, nur langsam verliebt, und es wäre jetzt an der Zeit, für eine Weile zu schweigen und mir die Möglichkeit zu geben, mich als Zuhörer so zu bewähren wie Sie, Herr Clarin. Reden Sie! Berichten Sie von sich, geben Sie doch, um Himmels willen, auch einmal etwas preis!
Er läßt mich nicht zu Wort kommen, hätte ich denken können, er redet sich in ein Fieber hinein und wirft mir dann vor, daß ich schweige. Aber ich dachte es nicht, ich empfand es nicht so. Ich erinnerte mich an meine Mutter, die mir in meiner Kindheit oft aus Grimms Märchen vorgelesen hatte. Damals hatte ich zuhören können, beteiligt, gebannt – wie sehr, so merkte ich jetzt, ist diese Fähigkeit im Lauf der Zeit verkümmert. Ich merkte es, weil sie auf einmal wieder da war, wie neuerweckt durch die starke Gegenwart des erzählenden Loos.
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