Am Hang
Er war das pure Gegenteil von mir, äußerlich ohnehin, aber ich rede vom Wesen. Das, was als südländisch gilt, der leichte Sinn, das lässige und lockere Benehmen, Kontakt- und Redelust, vielleicht auch Oberflächlichkeit: das alles vertrat eigentlich ich, während Tasso ernst und schwerblütig war, gewissenhaft und gründlich. Er hatte, was mir fehlte, und umgekehrt. Du kannst dir denken, wie spannend, aber auch wie voller Spannungen die Freundschaft war. Wir wurden so vertraut, daß wir einander auch die wechselseitigen gelegentlichen Haßgefühle eingestehen konnten. Ich nahm mir beispielsweise immer wieder vor, am Morgen einmal vor ihm aufzustehen, aber ich schaffte es nie und haßte ihn für meine Niederlagen. Erst sehr viel später bin ich zum Frühaufsteher geworden und habe gelernt, mich zu disziplinieren. Giovannis Haß – er hieß Giovanni – bezog sich eher auf mein Liebesleben beziehungsweise, wie er sagte, auf meinen zwanghaften Frauenkonsum, von dem er natürlich betroffen war, da wir ja Wand an Wand wohnten. Aber nicht die Geräusche seien es, sagte er, die Haß in ihm aufkommen ließen, auch nicht der Neid, sondern eher der Umstand, daß ihn mein flatterhaftes Tun zum Mitleid mit den Frauen zwinge. Denn seiner Meinung nach verdienten und ertrügen die Frauen es nicht, wegwerfend behandelt zu werden, und wegwerfend meine er wörtlich. Trotz aller Differenzen: gefährdet war die Freundschaft nie. Einmal hat Tasso bei mir angeklopft, lange nach Mitternacht, und leise gerufen, ob ich noch wach sei. Ein wenig, sagte ich, komm rein. – Er hielt ein Buch in seinen Händen und sagte schüchtern, er habe darin einen Satz für uns gefunden, und zwar den folgenden: Sei deinem Freund ein unbequemes Ruhekissen. Da bin ich aus dem Bett gesprungen und habe einen Chianti entkorkt, und unsere Freundschaft war jetzt sozusagen definiert.
Falsch, sagte Loos, im Original heißt es ein hartes Feldbett und nicht ein unbequemes Ruhekissen. – Ich danke höflich für den Hinweis, sagte ich, der Sinn bleibt zwar der gleiche. – Entschuldige, sagte er, der Philologe ist mit mir durchgegangen. – Schon gut und wie auch immer, sagte ich, wenig später verliebte sich Tasso, und zwar zum ersten Mal, so hoffnungslos vehement, wie es vielleicht nur Spätzündern zustößt. Jedenfalls sprach er nur noch von Heirat, obwohl er mir gleichzeitig anvertraute, daß er das Küssen weit weniger einfach finde, als es in Filmen aussehe. Er sagte mir auch, der einzige Grund, warum er mir Magdalena bisher nicht vorgestellt habe, sei seine Angst vor dem leicht spöttisch taxierenden Blick, mit dem ich die Frauen ansähe. Nicht weil er befürchte, daß seine Freundin vor meinem Blick nicht bestehen könnte, sondern weil es sein Wunsch sei, daß sie mich möge. Ich versprach ihm, sie so anzuschauen, als wäre sie eine Blume. Doch als ich sie dann erstmals sah, vergaß ich die Blume, sah nur noch die Frau und begriff die Verzauberung Tassos. So sehr ich auch merkte, daß etwas an ihr war, was meinen Freundinnen abging, so dunkel blieb mir das Etwas. Ich spürte nur, daß ich bei Magdalena, selbst wenn sie frei gewesen wäre, nie hätte landen können. Trotzdem war sie mir sofort sympathisch, und da ich auch zu sehen glaubte, wie gut die beiden zueinander paßten, gab ich es auf, Tasso zu bremsen und ihm all das unter die Nase zu reiben, was er versäumen würde, wenn er die erste Geliebte zur Ehefrau mache. Er hatte das nie hören wollen und einmal verlegen erklärt, das einzige, was ihn gelegentlich bremse, sei seine Sorge, den körperlichen Wünschen Magdalenas nicht gerecht zu werden. Wie ich ja wisse und nicht verstehen könne, sei er trotz seiner mehr als fünfundzwanzig Jahre so gut wie ahnungslos, wogegen Magdalena schon Erfahrung habe. Und so sei zu befürchten, daß sie ihn unzulänglich finde und womöglich als Stümper betrachte, was er ja sei. Ob er denn, fragte ich ihn, noch nicht mit ihr geschlafen habe. Er sagte, für ihn sei das Küssen schon Wunder genug, mit dem anderen eile es nicht. Mein Gott, sagte ich, mit dem Heiraten scheint es zu eilen, das Vögeln aber hat Zeit. – So ist es, sagte er.
Das war im Frühling, im Sommer fand die Hochzeit statt. Die beiden reisten ins Tessin und verbrachten zwei Wochen in seinem Haus. Dann kehrte Magdalena zurück, sie war als Logopädin tätig, während Giovanni noch blieb, um ohne Ablenkung an seiner Abschlußarbeit zu schreiben. Sie telefonierten täglich, und an den Wochenenden
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