Am Hang
Zwecklose Fragen, vergebliche Zudringlichkeit. Und trotzdem, trotzdem, ein wenig kenne ich Tasso, auch wenn ich nicht wie du sein bester Freund gewesen bin. – Ich komme nicht mit, sagte ich, ist es dein Ehrgeiz, mich zu verwirren? Hast du Tasso gekannt? – Du machst es mir leicht, dir zuzuhören, sagte er, denn Tragisches liegt mir, nur, es ist mir peinlich, meine Blase, darf ich nochmals um eine kurze Unterbrechung bitten? – Ich sah ihm hinterher und nahm mir vor, nie so verschroben zu werden.
Als er zurückkam, sagte er: Die Nebelschwaden verziehen sich, der Himmel klart auf, ich habe die Lichter gesehn, man könnte glauben, es bahne sich ein heller Pfingstsonntag an. Und wie erwähnt, selbst die Gehirne unserer Nächsten sind siebenfach versiegelt. Was ich von Tasso weiß, weiß ich von dir, und trotzdem komme ich, was die geheimnisvolle Frau betrifft, zu einem anderen Bild als du, weil ich die Einzelteile anders werte. Vergiß den Dammbruch. Vergiß das Übermaß an Ungeduld und sexuellem Hunger. Verknüpfe Tassos große Liebe mit seiner Unerfahrenheit auf physischem Gebiet, und denk an seine rührende Angst, die Liebste zu enttäuschen und ihr ein ungeschickter Mann zu sein. Stell dir vor, er läse eine Zeitung und stoße auf ein Inserat, in dem es etwa heißt: Reife, zärtliche Frau macht Haus- und Hotelbesuche. – Eine Versuchung für Tasso! Und zwar die Versuchung, sich aus besorgter Liebe zum Schüler zu machen. Er läßt sie kommen, jetzt werde ich spekulativ: Er merkt, wie sie da ist, daß er sich einen Moment lang verkannt hat. Er will keine andere Frau, auch nicht zu Übungszwecken, er kann das nicht. Sie zieht sich aus, unaufgefordert, legt sich aufs Sofa und haucht: Vieni qua. – Er steht eine Weile lang ratlos, bis ihm der Einfall kommt. Er wolle nichts weiter, sagt er, als ein paar Fotos machen. So einer bist du, sagt sie. Und das kann er heiter verkraften.
Ich zweifelte keine Sekunde daran, daß Loos den Schleier gehoben hatte, daß seine Rekonstruktion und Deutung richtig waren. Ich haßte ihn. Ich haßte ihn, weil er mich dazu zwang, mich vor die Stirn zu schlagen und innerlich zuzugeben, daß ich für die Motive Tassos stockblind gewesen war. Auch so etwas wie Eifersucht empfand ich, als hätte Loos von meinem besten Freund Besitz ergriffen und ihn mir quasi postum ausgespannt. – Du ziehst zu Recht die Brauen zusammen, sagte Loos, ich kann mich irren. Sag Magdalena nichts von meiner Theorie, denn würde sie sie überzeugen, so käme sie nach Jahr und Tag in eine doppelte Not. Sie müßte im Rückblick sehen, daß sie etwas, was gar nicht gewesen war wie sie glaubte, unter Schmerzen verarbeitet hatte. Und dazu kämen Scham- und Schuldgefühle dem toten Tasso gegenüber, den gegen allen bösen Schein blindlings in Schutz zu nehmen ihr nicht gelungen war. Wie geht es ihr heute? – Es geht ihr gut, sie hat sich wieder verbunden und ist kürzlich Mutter geworden.
Wie geht es der anderen Frau? – Welcher anderen Frau? – Der mit den Nervenproblemen, mit der du hier einmal gegessen hast. – Ach der, sagte ich, ich habe keine Ahnung, wir haben uns nach der Trennung aus den Augen verloren, wie kommst du jetzt auf sie? – Ganz indirekt, sagte Loos, sie ist, wenn ich nicht irre, neben Magdalena die einzige Frau, von der ich wissen kann, daß sie in deinem Leben einmal eine Rolle spielte, du hast von keiner anderen erzählt. – Das hat nur mit dem Ort zu tun, an dem wir sind und der mich an sie erinnert hat. Sie war nicht wichtiger für mich als andere, was nicht bedeutet, daß sie mir gleichgültig war. Im übrigen glaube ich, daß du kein Mann bist, der sich für Liebeleien und Affären interessiert. – Darf ich erfahren, was dich zu dieser Überzeugung bringt? – Das fragst du noch, du glühender Verfechter der sogenannten großen Liebe! – Thomas, sagte Loos, die Liebe braucht nicht verfochten zu werden, so wenig wie die Sonne. Was mir zuteil geworden ist, ohne Verdienst, hat mich zwar manchmal dazu verführt, all jene zu bedauern, die in Ermangelung der Sonne zu einem Heizstrahler greifen. Und nun, da mein Himmel bedeckt ist, hätte ich selbst einen nötig, nur kann ich nicht umgehn mit ihm. Mein Interesse aber ist groß. Was ich nicht kann und darum nicht kenne, erregt meine Neugier. Nur zu! Du hast dich eben warm geredet, nutze den Schwung, erzähle dem Laien und Bünzli von deinen Affären. – Ich schaute auf die Uhr und sagte: Du sprichst im Plural, ich fürchte aber, für mehr
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