Am Helllichten Tag
hab ich doch schon hundertmal erzählt!«
»Dann erzählen Sie es jetzt eben noch mal.«
»Ich hab die beiden bloß flüchtig gekannt, wie man eben Leute kennt, die auch in der Gegend wohnen.«
»Unseren Kollegen gegenüber haben Sie anfangs aber behauptet, sie überhaupt nicht zu kennen«, sagt Julia nach einem kurzen Blick in Aris und Koenraads Notizen. »Später haben Sie zugegeben, dass Sie immer wieder mal Streit mit Herrn Schavenmaker hatten. Aber gekannt haben wollen Sie ihn nur flüchtig. Wie reimt sich das zusammen?«
»Man braucht jemanden nicht unbedingt gut zu kennen, um Krach mit ihm zu kriegen, oder?«, sagt er so langsam und dezidiert, als hätte er es mit Begriffsstutzigen zu tun.
»Das sehe ich anders«, meint Julia. »Erst recht, wenn man häufiger mit dem Betreffenden aneinandergerät. Dabei lernt man sich zwangsläufig kennen, wenn auch im negativen Sinn.«
»Meinetwegen. Wenn ihr wollt, kannte ich diesen Ruud eben im negativen Sinn gut.« Rachid hebt kapitulierend die Hände. »Der Typ war ein Arschloch.«
»Warum?«
»Weil er ein Rassist war«, sagt Rachid. »Und zwar einer von der übelsten Sorte. Er hat mich und meine Kumpel überall schlechtgemacht. Und seine Tussi war genauso – gleich und gleich gesellt sich gern. Die standen beide voll auf Geert Wilders und haben bloß darauf gewartet, dass man alle Ausländer rauswirft. Dabei bin ich in Roermond geboren. Ich bin hier aufgewachsen und zur Schule gegangen, also hab ich ein Recht darauf, in diesem Scheißland zu leben.«
»Scheißland?«, wiederholt Julia.
»Genau. Holland ist echt ein Scheißland geworden. Aber immerhin ist es mein Scheißland, also brauch ich mir von solchen Ärschen nicht sagen lassen, dass ich abhauen soll.«
»Und deshalb mussten Ruud Schavenmaker und seine Freundin sterben?«, mischt Sjoerd sich ein.
»Wegen mir nicht. Aber da war wohl jemand anderer Meinung.«
»Ich halte aber Sie für den Täter.« Sjoerd beugt sich ein Stück vor. »Sie hatten einen ausgewachsenen Streit mit Herrn Schavenmaker, sind mit einer Riesenwut im Bauch abgezogen, haben eine Pistole geholt und sind zur Wohnung des Paars gegangen. Weil die Hintertür offen war, konnten Sie ohne Probleme ins Haus. Kristien Moors hat versucht, Sie aufzuhalten, deshalb haben Sie erst sie niedergeschossen. Dann sind Sie ins Wohnzimmer gegangen und haben sich Ruud Schavenmaker vorgenommen. So war es doch, Herr Amrani, oder? Ist es so gelaufen?«
Sekundenlang starrt Rachid ihn an. Dann beugt auch er sich vor und sagt im gleichen Tonfall: »Nein, so ist es nicht gelaufen. Wenn ihr glaubt, ihr könntet ein Geständnis aus mir herauspressen, habt ihr euch getäuscht. Ich habe mit der Sache nichts zu tun!«
»Man könnte fast an seiner Schuld zweifeln«, meint Sjoerd, als sie den Verhörraum verlassen. »Unglaublich, dem Burschen ist nicht beizukommen. Aber wir werden ihn schon noch überführen.«
»Oder auch nicht.« Julia sieht Rachid nach, der von einem uniformierten Kollegen in seine Zelle gebracht wird. Maximal drei Tage dürfen sie ihn festhalten. Wenn bis dahin nichts gegen ihn vorliegt, müssen sie ihn gehen lassen.
»Wie meinst du das? Glaubst du etwa nicht, dass er es war?« Sjoerd holt am Wasserspender etwas zu trinken und hält Julia den Becher hin. Als sie den Kopf schüttelt, trinkt er ihn selbst in langen Zügen aus.
»Ich bin mir nicht sicher. Vieles deutet darauf hin, dass er der Täter ist, aber irgendetwas sagt mir, dass er es nicht war. Das Gefühl hatte ich schon vorhin, bei der Vernehmung. Ich merke ganz genau, ob jemand mich anlügt oder nicht.«
»Bei allem Respekt, Julia, so was kannst du nicht genau merken. Ich kenne etliche Kriminelle, die hervorragend schauspielern können, manche fast schon oscarreif.«
»Wenn dieser Rachid Schavenmaker angespuckt hat, nachdem er ihn umgelegt hat, müsste eigentlich Speichel in der Wunde sein«, überlegt Julia laut. »Weißt du zufällig, ob das der Fall ist?«
»Ich seh mal eben nach.« Sjoerd betritt ihr gemeinsames Büro, nimmt einen Stapel Unterlagen von seinem Schreibtisch und blättert.
»Da steht es: Der Fleck befand sich auf dem T-Shirt knapp unterhalb des Brustbeins, drumherum waren ein paar Spritzer«, fasst er zusammen.
»Und in den Wunden?«
»Nichts.« Sjoerd legt die Papiere wieder weg. »Schavenma ker hatte zwei Einschüsse in der Brust, aber Speichel wurde da rin anscheinend nicht gefunden. Vielleicht ist er mit dem Blut rausgeflossen und …«
»Na, schon was
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