Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
so verwirrend. Ich hab erst richtig kapiert, was eigentlich läuft, als ich nach Sydney kam. Die Mathilda segelt mit Opium von Kalkutta nach Lintin Island, holt da das Silber und, anstatt dann direkt nach Kalkutta zur Börse zurückzufahren, segelt sie nach Süden aufs offene Meer, wo sie sich mit der Sea Witch trifft, die Sydney mit dem Falschgeld verlassen hat …«
»Also wird das gefälschte Silber auf See gegen das echte Silber getauscht und die gefälschten Münzen in der Kalkutta-Börse aufgenommen, während die Sea Witch , mit ihrer Fracht aus echtem Silber, nach London segelt?«
»So ist es.«
»Und der Chef dieser Sache ist ein Quäker?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher. Auf See hat ja der Kapitän das Sagen. Ich habe noch nie einen Quäker nach Lintin Island fahren sehen.«
Michael schaute Calvin an. »Ich glaube, der Name dieses Gentlemans ist Isaac Fisher.«
Der Polizist runzelte die Stirn. »Natürlich besteht immer die Möglichkeit, dass er gar nicht weiß, dass sein Opiumfrachter auf der Rückreise Falschgeld aufsammelt.«
»Daran hatte ich noch gar nicht gedacht«, gab Michael zu. »Ich weiß aber, dass die Mathilda und die Sea Witch beide einem Zusammenschluss Londoner Tuchhändler gehören …«
»Wie können wir also herausfinden, wer die Strecke von Sydney aus gechartert hat?«
Michael sah ihn an. »Zwei von ihnen sind tot, Josiah Blake eingeschlossen.«
»Wie interessant.« Calvin blickte wieder auf den Jungen. »Also können wir jetzt festhalten, dass der Tuchhandel für einen gewissen Händler nicht profitabel genug ist, und dass Mick the Fence der Kopf einer Falschmünzerei in Sydney ist?«
»Aber das mit Mick hab ich Ihnen nicht gesagt!«
»Dann ist er’s also?«
»Ach, verdammt. Ja.«
Calvin zog seine Uhr aus der Manteltasche. »Es wird spät. Du kannst heute Nacht noch bleiben, und morgen pack ich dich auf das erste Schiff, das hier den Anker lichtet und dann kannst du dir deine Überfahrt verdienen, wo auch immer es hinsegelt.«
Sobald sie draußen waren, warf Calvin Michael einen Seitenblick zu. »Du hast mir gar nicht gesagt, dass Mick the Fence hinter dieser Operation steckt.«
»Ich war mir bis vor kurzem selbst nicht sicher.«
Calvin grinste listig. »Ich wusste es ohnehin. Sonst würde ich meinen Job ja nicht richtig machen, nicht wahr? Ich hab einen Beobachtungsposten im Hare and Hound an der Kreuzung. Von einem der Zimmer im ersten Stock kann man zu Mick rüberschauen.«
Michael schüttelte den Kopf. »Ich hätte gedacht, Mick ist zu ausgefuchst, um sein Zuhause fürs Geschäft zu nutzen. Wenn’s so ist, dann werden sie wohl im Keller arbeiten, denn er hat einen der wenigen in den Rocks. Wenn sie alte Münzen einschmelzen und Gipsformen benutzen, dann fälschen sie vermutlich Guineen: innen Kupfer, außen mit Silber beschichtet. Hat keinen Sinn, die Zeit mit Shillings zu vergeuden – die würden die Kaufmannsprinzen nicht reich genug machen oder den Börsenspekulanten auf die Sprünge helfen.«
Calvin hörte aufmerksam zu und nickte. »Wo wir gerade von Spekulanten sprechen: Ich habe mich mal mit einem Herrn namens Wardell unterhalten, dem Regierungsagenten auf der Rajah . Er sagt, er würde sich um die Geschichte kümmern, die der Schiffsjunge dir erzählt hat, dass er den Botaniker in der Mordnacht an Deck gesehen hat. Er hat auch versprochen herauszufinden, wann Mr Reeves Überfahrt gebucht wurde und von wem. Es ist unwahrscheinlich, dass er ohne Gönner von so weit her gekommen ist.«
»Das ist ja interessant«, erwiderte Michael, »denn ich wollte gerade fragen, ob du mit mir zusammen Mr Reeve einen Besuch abstatten magst. Ich habe da etwas mit ihm zu besprechen, und ich glaube, das könnte dich interessieren.«
»Ach wirklich?«
»Aye.«
60
21. Oktober 1841
Das Licht funkelt, der Himmel ist wolkenlos, und die Temperaturen sind konstant. Dieses Land ist in jeder Hinsicht das Gegenteil von Irland. Die Jahreszeiten sind verkehrt und der Südwind kälter als der aus dem Norden. Statt nebelig und feucht ist die Luft trocken und klar. Der schwarze Atem der Industrie hat sie noch nicht berührt. Obwohl hier jetzt Frühling herrscht, ist es bereits so warm wie im irischen Sommer. Ich schätze, dass das Licht und die Wärme zwei der Gründe für die Freundlichkeit der Menschen in Sydney sind. Ich habe den Vormittag mit Joan, der Frau des Textilhändlers, verbracht, die zustimmend lachte, als ich wegen verschüttetem Tee fluchte, und mir nach dem
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