Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Offensichtlich wollte sie noch mehr sagen, denn sie sah zuerst ihn etwas schüchtern an, dann auf ihre Hände. »Wie geht es Thomas?«
»Er ist gesund und vernünftig und arbeitet hart, soweit ich weiß. Aber du als Frau möchtest natürlich wissen, wie es um sein Herz bestellt ist, und das kann ich dir nicht sagen.«
»Ich frage nur als eine gute Freundin.«
»Ja, das weiß ich. Ich hab es vielleicht sogar schon vor euch beiden gewusst, wobei ich nicht zu schlau klingen möchte. Ihr seid nicht aus den Formen gegossen, die nahtlos zusammenpassen, oder? Freundschaft, die über romantische Gefühle hinausgeht, darf man nicht unterschätzen. Ich frage mich manchmal, ob Annie …« Er konnte es nicht aussprechen. Sieben Jahre war eine zu lange Zeit. Die Menschen veränderten sich. Rhia blickte mit ihren schwarzen Augen direkt durch ihn hindurch, als könne sie seinen Schmerz sehen.
»Es müssen einsame Jahre gewesen sein«, sagte sie.
»Ich habe mir mein Leben eingerichtet, und genau das wirst du auch tun, wenn du nach Hause kommst. Vielleicht hat es mit diesem Ort zu tun. Man kann nicht einfach aufgeben, nur weil man sich plötzlich im entferntesten Winkel der Welt befindet. Die Menschen hier, Kolonisten, Siedler oder Gefangene, alle streben sie nach derselben Sache, nach Freiheit.« Rhia beobachtete ihn aufmerksam, und Michael lachte. »Ich sollte besser von meiner Kanzel heruntersteigen und mich um meine Angelegenheiten kümmern.«
»Nun«, erwiderte sie, »wenn wir uns das nächste Mal sehen, weiß ich hoffentlich, was es kostet, einen Klipper voll Merinowolle nach Dublin zu schicken. Viel Erfolg, Mr Kelly.«
»Ja, viel Erfolg.« Er wartete, bis sie im Textilgeschäft verschwunden war, ehe er weiterging. Sie bewegte sich langsam und vorsichtig, wie eine alte Frau. Er glaubte nicht, dass sie jetzt schon in der Lage war, einen Handel abzuwickeln. Dann warf er noch einen Blick auf die Visitenkarte und schob sie nachdenklich in seine Tasche.
Maggies Mädchen hatten jetzt seit Monaten keinen der Smith-Jungs mehr gesehen, dafür hatte eine von Calvins Nacht-Patrouillen von ungewöhnlichen Aktivitäten in einem der kleinen Meeresarme jenseits der Bucht berichtet. Als ob das noch nicht genügte, hatte Jarrah endlich den Seemann ausfindig gemacht, der etwas über Josiah Blakes Tod wusste. Er war gute siebzig Meilen gen Norden gekommen, bis zum Hunter-Fluss, was für einen Matrosen zu Pferd recht beeindruckend war.
Calvin saß auf der Veranda, die Füße auf dem Geländer, und rauchte. Diese Haltung nahm er gern ein, wenn die Gaslaternen am Circular Quay angezündet wurden. Er fand die Vorstellung von Gaslicht nach wie vor sehr interessant. Es war auch die beste Tageszeit, um die Verkäuferinnen auf dem Weg zum Kai zu beobachten, und außerdem waren Frauen ein ebenso leuchtendes Rätsel wie Gas. Natürlich war Gas ein Naturphänomen und Frauen etwas völlig anderes, mit dieser Weichheit, die einem das Herz zum Schmelzen bringen oder einen Ständer verursachen konnten. Calvin hatte nie geheiratet, denn keine Frau wollte oder sollte sich damit abfinden, weniger wichtig als die Arbeit eines Polizisten zu sein. Calvins Revier war die Landkarte seines Herzens. Er liebte sein Stück Strand und die Docks und den Schiffbau, und er ging darin auf, dafür zu sorgen, dass alles lief wie am Schnürchen.
Als eine Holzbohle knarrte, beugte Calvin sich instinktiv vor und streckte die Hand nach dem Stiefel aus, wo er seine Pistole verwahrte. Er besaß das angeborene Misstrauen eines Mannes, der in einem gesetzlosen Land das Gesetz vertrat, doch normalerweise war er nicht so schreckhaft.
»Ich bin’s nur, Cal.«
»Ah, guten Abend, Michael. Bereit für die Show?«
»Du glaubst, sie fangen bald mit dem Verschiffen an?«
»Muss demnächst losgehen. Ein paar Jungs halten am Strand für mich Wache. Ein Stück außerhalb vom Hafen liegt ein Klipper vor Anker, gerade so weit weg, dass ich ihn mit dem Teleskop nicht sehen kann. Aber ich kenne einen Fischer, der sein Netz gerne an den tiefen Stellen auswirft, und er hat mir gesagt, der Name des Schiffs ist Sea Witch . Ich habe heute Nacht Männer an der Küste stationiert, damit du und ich uns in Ruhe mit dem Seemann unterhalten können, der zum Viehtreiber wurde.«
»Ich kann dir ganz genau sagen, wo du meiner Meinung nach den Klipper findest.« Michael reichte Calvin die Visitenkarte.
»Im Kaffeehaus Jerusalem?«
»Dreh die Karte um, Cal.«
»Ah, und was bedeutet dieses
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