Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
investieren, genau wie Ryan gesagt hat. Ich erzählte Michael sofort davon, also bin ich wohl immer noch impulsiv. Er wirkte überrascht, dann skeptisch und dann, zum Glück, nachdenklich. Er sagte, er hätte sich ebenfalls überlegt, etwas Wolle nach Dublin zu schicken, aber nicht damit gerechnet, einen Geschäftspartner zu finden. Ich konnte sehen, dass er auch nicht damit gerechnet hatte, ausgerechnet eine Geschäftspartner in zu finden. Mir war es ähnlich gegangen, aber plötzlich scheint es völlig logisch zu sein. Aus diesem Grund bin ich hierhergekommen. Es muss Antonia gewesen sein, die das Geld in meine Börse getan hat. Ich werde es ihr zurückzahlen, wenn unser Schiff einläuft. Und jetzt gehe ich zu Bett. In ein Bett.
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S TROH
Wer hätte gedacht, dass es ihn so mit Stolz erfüllen würde, jemanden von zu Hause durch Sydney zu führen? Michael freute sich wie ein Schneekönig, als Rhia staunend die elegant geschwungenen Steinfassaden des Government House und den hübschen Turm der St.-Phillip’s-Kirche bewunderte. Verschwunden war die Bitterkeit der letzten Jahre, als er mit angesehen hatte, wie ersetzbar Arbeiter waren, verschwunden der Schmerz und die Wut, die ihn zu seinen Flugschriften getrieben hatten. Er hatte zahllose wütende Artikel über die falschen Götter der Zivilisation und des Handels geschrieben, die die Kolonialherren aus der roten Erde erhoben und aus den Sandsteinklippen gehauen hatten. Er hatte den echten Kosten des Volkstums Tribut gezollt: dem Abschlachten und den Tränen der Vergessenen.
Er zeigte Rhia Kredit- und Anlagefirmen, die Bibliothek und die Büros der Australian Gas Light Company und der Australian Sugar Company, die Literatur- und Naturwissenschaftsgesellschaften, die Kunstschule und das neue Museum. Als sie schließlich in die George Street zurückkehrten, schüttelte Rhia verwundert den Kopf.
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass man sich in Australien als Architekt den Lebensunterhalt verdienen kann«, sagte sie.
Michael lachte. »Der wichtigste Architekt wurde einst als Fälscher deportiert. Das sollte sich für ihn als sehr günstig erweisen. Wahrscheinlich hätte er nie viele wichtige öffentliche Gebäude entworfen, wenn er in Bristol geblieben wäre.«
Rhia hatte den Blick auf die Schaufenster gerichtet, als sie an Sattlern, Teehändlern und Apotheken vorbeikamen, und schließlich näher beim Kai an Instrumentenbauern, Schiffsausrüstern und Segelmachern. Vor einem Hutmacherladen blieb sie stehen, um die Hauben im Fenster anzuschauen. Sie drehte sich mit hochgezogenen Brauen nach ihm um, und Michael kannte diesen Blick. Schließlich war sie eine Frau.
Rhia Mahoney hatte immer etwas an sich gehabt, dachte er, als sie durch die Ladentür verschwand. Sie besaß die Augen der alten Frau, der Großmutter: pechschwarz und irgendwie ein wenig unnatürlich. Als könnten sie mehr als das Sichtbare erkennen. Michael nahm seine Tabakdose heraus und beobachtete die Straße. Ein Brauereipferd mit Karren trabte vorbei, bis oben hin mit Ballen Merinowolle beladen. Sie hatten viel über Wolle geredet, und Rhia hatte recht, es war an der Zeit, etwas davon zu verschiffen. Der Verlust der Freiheit stellte die seltsamsten Dinge mit einem an. Er machte einen hungrig nach Leben.
Als Rhia aus dem Hutladen wieder auftauchte, waren ihre zerrupften Locken unter einem neuen Strohhut verschwunden – nicht einer Haube, sondern einem Hut, mit flachem Kopfteil und breiter Krempe.
»Steht dir gut«, meinte er, und das stimmte auch. Der Hut beschattete ihr Gesicht und verlieh ihr das Aussehen eines Pioniers. Sie waren nun fast bei Dan angelangt. »Ich werde gleich weiterziehen«, erklärte er, »denn ich habe heute Abend noch etwas zu erledigen.« Sie fragte ihn nicht nach seinen Angelegenheiten, auch wenn er merkte, dass sie neugierig war. Stattdessen steckte sie die Hand in ihren Pompadour und zog eine zerknitterte Visitenkarte heraus, die sie ihm reichte. »Das chinesische Zeichen auf der Rückseite steht für Silber«, erklärte sie, »aber ich weiß nicht, welchen Ort die Koordinaten bezeichnen. Du vielleicht?«
Michael betrachtete die Karte. »Das ist direkt hier vor der Küste«, stellte er fest. »Ein Stückchen nach Norden, aber nicht weit. Wo kommt das her?«
»Ich habe es auf dem Fußboden beim China Wharf gefunden, an dem Tag, als Ryan starb. Es ist aber nicht seine Handschrift.« Sie hob wieder die Augenbraue, um ihrer Aussage Gewicht zu verleihen. »Dann gute Nacht.«
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