Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Frühstück ein Zigarillo anbot. Ich habe angenommen, aber ich muss noch ein bisschen üben, bis ich die Kunst des Rauchens beherrsche.
    Ich habe Joan den ganzen Vormittag mit Fragen gelöchert, da dieser Ort so voller Gegensätze zu sein scheint: Es entsteht eine moderne Nation, und gleichzeitig wird eine uralte zerstört. Die Originals, wie Michael Kelly sie nennt, sind nirgends zu sehen. Wäre ich Jarrah nicht begegnet, dann hätte ich vermutlich nur an den Geistern zwischen den Bäumen erkennen können, dass sie hier sind. Von den Schatten aus beobachten sie die törichten Reichserbauer. Es gibt entsetzliche Geschichten über Gemetzel, und wenn ich von den Mordtaten der Engländer und Iren hier höre, dann schäme ich mich, überhaupt den Fuß auf das Land zu setzen.
    Joan sagt, dass in New South Wales Orangen wachsen und sie selbst früh am Morgen eine gepflückt hat, als noch Tau darauflag. Sie sagt, sie hat zehn Monate im Jahr fette grüne Erbsen auf dem Tisch, und dass ihre Wäsche innerhalb einer Stunde trocknet. Allerdings hat sie auch eine Spinne in der Größe einer Taschenuhr in ihrer Speisekammer entdeckt, und diebische Opossums klettern durch die offenen Fenster und klauen alles Essbare, das man unbeaufsichtigt liegen lässt.
    In nur drei Tagen segeln wir los, und es gibt für mich bis dahin jede Menge zu tun. Dan und Joan haben die Merinowolle mit dem besten Preis in New South Wales aufgetrieben, und ich sammle Kraft, um die Verschiffung zu beaufsichtigen. Joan sagt, sie hilft mir, und dass ich versuchen soll, mir nicht zu bald zu viel aufzubürden. Wann immer mich der Gedanke an die Unternehmung einschüchtert, denke ich an Antonia. Der Glauben macht den Unterschied, egal, ob es sich an den Glauben an eine Gottheit, das innere Licht oder an sich selbst handelt.
    Ich kann nicht behaupten, dass ich mich auf eine weitere Schiffsreise freue, nicht so bald nach der letzten, aber sie wird wenig Ähnlichkeit mit meiner Herfahrt haben. Nach der langen Wanderung von Rose Hill nach Sydney drängt sich eine ganze Saison voll Muster in meinem Kopf, und ich habe vor, ein Buch damit zu füllen, ehe wir London erreichen. Falls Mr Montgomery sie nicht zu einem guten Preis kaufen will, dann werden sie zu den ersten Drucken auf Mahoney-Wolle.
    Zum Teufel mit den Konventionen.

61
    H AHNENTRITT
    Mr Reeve war wenigstens schlau genug, Calvin und Michael die Tür nicht vor der Nase zuzuknallen. Seinen linken Wangenknochen zierte immer noch ein violett-grüner Fleck, wo er die Begegnung mit Michaels Faust gemacht hatte.
    »Guten Abend, Mr Reeve«, begrüßte Calvin ihn fröhlich.
    Der Botaniker funkelte sie lediglich böse an und drehte ihnen den Rücken zu. Als sie ihm ins Zimmer folgten, war er bereits an seinen schmalen, kleinen Tisch zurückgekehrt, wo er mit hängendem Kopf etwas in ein Buch kritzelte und dabei wirkte wie ein schmollendes Kind.
    »Nur ein Höflichkeitsbesuch«, fuhr Cal fort, »um Sie über meine Untersuchungen bezüglich Ihrer mutmaßlichen kriminellen Handlungen auf dem Laufenden zu halten. Ich habe mich mit einem gewissen Mr Wardell unterhalten. Vielleicht erinnern Sie sich noch, dass er der Regierungsvertreter an Bord der Rajah war. Er scheint zu glauben, dass Sie sich in der Nacht, als Laurence Blake ermordet wurde, in der Nähe seiner Kajüte aufhielten.«
    Damit hatte er Reeves Aufmerksamkeit. Er blickte beunruhigt auf.
    »Außerdem«, fügte der Polizist hinzu und setzte sich Reeve gegenüber, »hat er mir erzählt, dass Ihre Überfahrt mit einem Bankwechsel bezahlt wurde.«
    Das hatte Michael nicht gewusst. Er warf Calvin einen Blick zu. Dieser nickte ihm bestätigend zu. Calvin hatte offensichtlich ein wenig herumgeschnüffelt. Schließlich war das sein Job. »Möchtest du noch irgendetwas hinzufügen?«, fragte er Michael.
    Michael schaltete blitzschnell. »Durchaus. Ich frage mich nun, Mr Reeve, ob derjenige, der für Ihre Überfahrt aufgekommen ist, Sie auch dafür bezahlt hat, ein Auge auf Rhia Mahoney zu werfen. Und ich frage mich, ob Sie herausfinden sollten, was sie über den Tod von Josiah Blake weiß. Vielleicht dachten Sie, Rhia hätte etwas, einen Brief vielleicht, den Ihr Auftraggeber gerne haben wollte. Sie dachten, Rhia hätte dieses Papier Laurence Blake zur Aufbewahrung gegeben. Also schlichen Sie, während er schlief, in seine Kabine, in der Hoffnung, diesen dort zu finden, und haben Mr Blake dabei unabsichtlich oder absichtlich aufgeweckt. Vielleicht hat er Sie gepackt, Sie