Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
schwierig, und Rhia überlegte, ob wohl irgendeine der Seitenstraßen nach Süden hin bis zur Drury Lane führte. Sie sah drei graue Tauben, die auf dem geschwungenen, schmiedeeisernen Bogen einer Straßenlaterne an der Einmündung einer Gasse saßen, und beschloss ihr Glück zu versuchen.
Wenn Mr Montgomery John Hannam war, dann brauchten sie Beweise. Es würde sonst nicht ausreichen, ihn zu beschuldigen. Sie hatte jedoch das Gefühl, dass Dillon und Michael genau daran arbeiteten. Es wäre für Mr Montgomery ein Leichtes gewesen, die Stickarbeit aus der Sammlung seiner Frau zu entwenden und im Laden zu verstecken. Und er brauchte lediglich sein Dienstmädchen zu bezahlen, oder ihr zu drohen, damit sie log. Er musste angenommen haben, dass Rhia etwas wusste. Ihr fiel der Nachmittag von Isabellas Teegesellschaft wieder ein. Sie hatte etwas gesagt. Aber was war das bloß gewesen? Genau konnte sie sich nicht mehr erinnern – sie war ziemlich betrunken gewesen, aber es ging darum, dass Josiahs und Ryans Tod sie misstrauisch gemacht hätten. Mr Montgomery wusste, dass sie mit Isabella die Sammlung angeschaut hatte. Seine Frau zu überzeugen wäre einfach gewesen.
Rhia lenkte die Stute durch den schmalen Durchgang in Richtung des Marktplatzes von Covent Garden. Ringsherum reihten sich Mietdroschken auf. Die Kutscher rauchten oder unterhielten sich in kleinen Grüppchen neben einer Kohlenpfanne, wobei sie mit den Füßen aufstampften, um warm zu bleiben.
»Ein hübsches Paar Stelzen, Miss«, bemerkte einer der Fahrer, als sie vorbeiritt.
»Vielen Dank«, erwiderte sie keck. Rhia ritt quer über den Platz und durch ein Gässchen hindurch, das voller Karren stand. Sie erreichte den Red Lion genau zur selben Zeit wie Mr Dillon, der aus der entgegengesetzten Richtung herbeigeeilt kam. Der Kragen seines langen Mantels war bis zu den Ohren hochgeschlagen, und sein Atem bildete eine Dunstwolke um ihn herum. Beim Näherkommen ließ Rhia die Kapuze nach hinten fallen, und er lachte, als er sie erkannte.
»Ich habe schon darauf gewartet, dich auf deiner Stute zu sehen«, sagte er, »aber hat dein Umhang nicht die falsche Farbe?«
»Ich habe Neuigkeiten.«
»Ah.« Er nahm die Zügel. »Hinten gibt es einen Stall. Ich werde sie festmachen. Mr Kelly ist vermutlich schon drin.«
Michael saß in einer Nische, rauchte und las ein Handelsblatt. Er wirkte irgendwie fehl am Platze, dachte Rhia, mit seiner sonnenverbrannten Haut, dem Fellhut und den mit Schlamm verkrusteten Stiefeln. Sie hatten beim Frühstück von Greystones gesprochen, ehe Antonia sich zu ihnen gesellte, und zum ersten Mal sah Rhia seine tiefe Sehnsucht nach zu Hause. Er hatte Tränen in den Augen, als er von Annie sprach. Die Zeit hatte nicht gereicht, ihr von Sydney aus einen Brief zu schicken, der vor ihnen ankommen würde. Niemand in Greystones wusste, dass Michael Kelly und Rhia in London waren. Er blickte auf, als Dillon mit einem großen Krug Bier auftauchte.
»Ich habe Neuigkeiten«, verkündete Michael.
»Dann sind wir ja schon drei«, meinte Dillon. »Du zuerst«, fügte er an Rhia gewandt hinzu.
Sie berichtete, was sich am Morgen zugetragen hatte, und als sie Mr Montgomerys Namen nannte, schlug Dillon mit der flachen Hand so heftig auf den Tisch, dass sie zusammenzuckte. »Ich wusste es!« Angewidert schüttelte er den Kopf. »Ich wusste es. Ich wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen, aber das hätte ich tun sollen. Nun, jetzt haben wir Beweise.«
»Die haben wir«, meldete sich Michael zu Wort. »Ich habe heute Morgen Ryans Anwalt besucht.« Er zog einen versiegelten Umschlag aus seiner Westentasche. »Aber es ist nicht an mir, ihn zu öffnen.« Er reichte ihn an Rhia weiter.
»Nicht jetzt«, erklärte sie. »Wir sollten uns auf den Weg machen.«
»Aye.« Michael leerte sein Glas. »Ich organisiere uns eine Droschke.«
»Rhiannon ist zu Pferd unterwegs«, sagte Dillon und warf ihr einen lächelnden Blick zu, als er ihren vollen Namen benutzte. »Ich würde gerne Sid rekrutieren, falls wir Montgomery einen Besuch abstatten, also lass uns auf dem Weg im Jerusalem haltmachen, Michael.« Er sah Rhia an und hob eine Augenbraue. Sollte sie irgendwelche Zweifel an ihren Gefühlen für ihn gehabt haben, so waren diese wie weggeblasen. Sie hatte keine Ahnung, wie man von diesem berauschenden, schwerelosen Gefühl je wieder zur Erde zurückkehren sollte.
Sie ritt schnell und erreichte die Cloak Lane noch vor Dillon und Michael.
Juliette öffnete die
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