Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Chesterfield-Sofa Platz zu nehmen, beiseite. Isaac saß am Tisch, über die Morgenausgabe des Globe gebeugt. Vielleicht las er, aber Rhia bezweifelte es. Das Porträt lag neben der Zeitung. Antonia nahm es so vorsichtig in die Hand, als sei es aus Glas, und setzte sich damit neben Eliza, wobei sie das Papier an die Brust drückte, so dass das Bild verborgen war.
»Eliza … Es gibt da etwas …« Antonia verstummte. »Ich möchte, dass Sie sich das ansehen.« Sie zögerte, doch dann legte sie das Porträt offen auf ihren Schoß.
Eliza betrachtete es mit gerunzelter Stirn. Es brauchte eine Minute, bis sie begriff, was sie da sah. Juliette hingegen wusste genau, worum es sich handelte. Sie schlug sich die Hand vor den Mund, und ihr Blick wanderte argwöhnisch zu Rhia hinüber, als müsse sie hinter alledem stecken.
»Erkennen Sie irgendeinen dieser Männer wieder?«, fragte Antonia sanft.
Eliza schien sie nicht gehört zu haben. Sie versuchte immer noch, das Porträt zu begreifen.
Juliette sah Antonia mit großen Augen an. »Ich verstehe nicht …« Sie sah nicht nur einen, sondern zwei Geister: Josiah Blake und Ryan Mahoney.
»Ich weiß, was du getan hast, Juliette«, sagte Antonia leise, »und warum. Aber wie du siehst, hat das Negativ den Weg trotzdem zu mir zurückgefunden. Wer hätte das gedacht?« Sie zuckte mit den Schultern, als handle es sich um kein sonderlich bemerkenswertes Vorkommnis.
Eliza jaulte auf und warf das Bild auf den Fußboden, als hätte es sie gebissen.
»Das ist er. Das ist John Hannam«, krächzte sie. Sie fasste sich mit der Hand an den Hals, als würde etwas sie würgen.
Antonia hob das Porträt auf. »Welcher ist John Hannam?« Alle beobachteten Eliza.
Eliza zeigte mit dem Finger auf Mr Montgomery. Rhia spürte, wie ihr die Kälte den Nacken hinaufkroch. Keiner sagte ein Wort. Es musste sich um einen Irrtum handeln. Sie sah sich um. Juliette wirkte natürlich nicht überrascht. Isaac nickte, als hätte er schon so etwas vermutet, und Antonia war offensichtlich völlig am Boden zerstört.
»Aber das ist nicht möglich, Eliza. Mr Montgomery ist … ein ehrbarer Mann, ein reicher Mann … aus einer guten Familie.«
»Weißt du denn irgendetwas über Jonathan Montgomerys Familie, Antonia?«, fragte Isaac.
»Nein. Aber ich nahm an …« Sie verstummte. »Weißt du etwas?«
»Nein«, erwiderte er. »Auch ich habe es einfach angenommen. Um den Anschein von Ehrbarkeit zu erwecken, braucht es heutzutage nur Wohlstand.«
Rhia konnte keinen Moment länger still stehen. Sie musste an die frische Luft und nachdenken. War es möglich, dass Mr Montgomery hinter dem Tod von Josiah und Ryan steckte? Sie stand auf. »Mr Dillon und Michael Kelly treffen sich im Red Lion in Covent Garden«, erklärte sie. »Ich werde sie holen.«
»Nehmen Sie meine Kutsche«, bot Isaac an.
»Ich würde lieber eins Ihrer Pferde nehmen, wenn ich darf. Damit wäre ich schneller.«
»Sehr recht. Ich spanne die Stute aus.«
Isaac verschwand, um sich darum zu kümmern, und Rhia holte ihren Umhang. Als sie vors Haus trat, zäumte er gerade einen seiner hübschen Apfelschimmel auf.
»Ich habe leider keinen Sattel«, entschuldigte er sich und reichte ihr die Zügel.
»Und ich brauche keinen«, entgegnete sie. Isaac hielt die Stute fest, während sie aufsaß.
Sie ritt durch Cornhill, wobei sie sich problemlos zwischen den langsam fahrenden Kutschen hindurchschlängeln konnte. Auf der Threadneedle Street hatte sich hinter einem Brauereiwagen, der seine Fässer bei einer Taverne auslud, eine Schlange gebildet. Sie ritt daran vorbei und bemerkte die entsetzten Blicke der Damen in ihren Hansoms kaum, die auf ihre bis zu den Knien gerafften Röcke starrten. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, sie hätten noch nie ein Bein gesehen. Es war kalt. Rhia wünschte sich, sie hätte daran gedacht, stattdessen ihre höheren Stiefel und einen Reitrock anzuziehen. So konnte sie nur die Kapuze gegen die eisige Luft tiefer in die Stirn ziehen.
Hinter Cheapside wirkte die Straße freier, also drückte sie der Stute die Fersen in die Flanke. Entlang der Newgate Street waren sie fast im Galopptempo unterwegs. Rhia sah nicht zum Gefängnis hinüber, nicht ein einziges Mal. Sie fragte sich, ob jemand hinter diesen grauen Mauern dem Hufschlag auf den Pflastersteinen lauschte, wie sie selbst einst. Sie sprach ein Gebet. Es kam ihr so leicht über die Lippen, dass sie es kaum registrierte.
Bei Holborn wurde das Vorwärtskommen wieder
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