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Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
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eine Welle der Übelkeit in Rhia auf, und dann kehrten all die unbeantworteten Fragen zurück. So wurden Menschen in den Wahnsinn getrieben, wurde ihr nun bewusst.
    Es gab so viel Einsamkeit und Verzweiflung innerhalb der Mauern des Newgate-Gefängnisses. Nachts, wenn die Lebenden still waren, half das Seufzen und Rascheln der anderen dabei, sie wach zu halten. Sie hatte versucht, sich glücklich zu schätzen, dass sie bald frei sein würde. Sie hatte versucht, aus Mangel an Papier und Tinte, in Gedanken an Mamo zu schreiben. Sie hatte sogar versucht zu lächeln, aber das war nicht gut angekommen. Man hatte ihr Prügel angedroht. Sie war hier nicht sicher. Andere Häftlinge hatten sich ihren Aufenthalt in Newgate durch Armut oder Gewalttätigkeit oder Schläue verdient.
    Nur eine Steinmauer trennte die Verurteilten von den Galgen des Old Bailey, nur eine Steinmauer zwischen Leben und Tod. Die Verurteilten kauerten sich jeden Morgen in einer Ecke des Hofes zusammen, als würden sie den Platz, den sie auf dieser Erde einnahmen, schon verringern. Rhia bekam Angst, wenn sie sie bloß ansah. Sie hielt sich auf dem Hof abseits, den Blick in den Himmel gerichtet. Es war die einzige Zeit des Tages, an dem sie ihn sehen konnte. Sie versuchte, das Blau des Himmels zu benennen, aber sie hatte die Bezeichnungen vergessen.
    Zu sagen, sie sei unschuldig, war lachhaft. Um das zu begreifen, hatte sie nicht lange gebraucht. Wenn sie irgendetwas von dem glauben sollte, was sie um sich herum hörte, dann gab es viele Unschuldige hier. Während des Tages gab es stets Näharbeiten zu erledigen, und nebenher wurde erzählt. Es gab keine Bücher, also kam das Erzählen der eigenen Geschichte dem noch am nächsten. Über der Feuerstelle waren Texte aus der Bibel auf ein Stück Pappe geklebt.
    Ein falscher Zeuge bleibt nicht ungestraft;
    und wer frech Lügen redet, entkommt nicht.
    Diese Sprüche schienen Rhia immer sinnloser zu werden, je länger sie darüber nachdachte, und, außerdem, wer hier drinnen konnte sie schon lesen?
    Mary Reardon, die mehr Zeit in Newgate verbracht hatte als draußen, war eine der wenigen, die tatsächlich mit Rhia gesprochen hatten. Mary hatte ihr erzählt, dass der Frauentrakt einst völlig trostlos gewesen war. Es war schwer, sich vorzustellen, wie der jetzige Trakt eine Verbesserung darstellen sollte, doch war er, laut Mary, zuvor nicht weiß angestrichen gewesen, und es gab auch kein Feuer und keine Matte zum Schlafen und keine Zinnschüsseln, um daraus zu essen. Damals gab es auch selten Eintopf mit Fleisch, sondern immer nur Grütze und grobes braunes Brot. Mary war fast zahnlos, und Rhia hatte eine Weile gebraucht, bis sie ihr Lispeln verstehen konnte, doch es gab ja sonst wenig Beschäftigung. Mary konnte nicht mehr an den Galgen gebracht werden, war aber zu alt für eine Deportation. Momentan saß sie einige Jahre für den Diebstahl irgendwelcher Schnallen von den Schuhen eines Gentleman ab. Anscheinend hatten sich die Schuhe zur fraglichen Zeit nicht einmal an dessen Füßen befunden. Das bedeutete wohl, dass Mary in Gesellschaft eines Gentleman in Socken gewesen war. Sie fragte nicht nach Details.
    Rhia fror und zog die raue Wolldecke fester um ihre Schultern. Es war kalt geworden, also würde die Sonne bald aufgehen. Laut Mary war sie gesegnet, dass ihr Fall so schnell zur Anhörung kam, da der Central Criminal Court nur einmal im Monat tagte und ihre Verhaftung zufällig zur nächsten Sitzung passte. Aber was, wenn der wahre Dieb noch nicht entdeckt worden war? Und woher hatte die Polizei überhaupt gewusst, dass sie im Geschäft suchen musste? Und warum war der Stoff dort versteckt worden? Bald würden all diese Fragen beantwortet werden und sie freikommen. Dann würde sie Beth bitten, ihr ein Bad mit Lavendel einzulassen, um die Flohbisse zu lindern, die ihre Beine bedeckten.
    Nachdem sie ihren Morgenbrei im eiskalten grauen Speisesaal eingenommen hatten, trieb man die Frauen hinaus auf den Hof. Rhia jedoch wurde von einer Wärterin weggeführt, die sie fest am Ellbogen packte, als hätte sie irgendwohin wegrennen können. Mehrere andere wurden ebenfalls aus dem Speisesaal gebracht. Der Anblick des Himmels trieb Rhia die Tränen in die Augen. Sie war fast frei. Sogar die enge Dunkelheit des Gefängnistransports konnte ihre Laune nicht trüben, und auch nicht die Menge, die sich vor dem Gerichtsgebäude versammelt hatte, um zuzusehen, wie man die Häftlinge hineinführte.
    Die Bänke in der

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