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Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
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düsteren Aufenthaltszelle waren bereits besetzt, als die Metallgittertür hinter ihr zuknallte. Als ihre Augen sich an das trübe Licht gewöhnt hatten, wurde sie von den üblichen feindseligen, verbitterten Mienen begrüßt. Bald würde sie der Gesellschaft derer entkommen sein, die sie für privilegiert hielten, weil sie keine Löcher in den Stiefeln hatte. Es war ihr zuvor noch nie in den Sinn gekommen, dass das allein sie von so vielen unterschied.
    Ihre Gefährten wurden einer nach dem anderen namentlich aufgerufen, zusammen mit ihrem Vergehen, wenn sie an der Reihe waren, die Zelle zu verlassen. Patricia O’Leary, Bordellinhaberin. Tom Black, Fälscher. Peter Thurn, Erpresser. Harold Jordan, Bigamist. Die meisten waren Diebe unterschiedlichen Kalibers, viele von ihnen junge Frauen. Manche wirkten verzweifelt und verängstigt, andere fast schon gelangweilt. »Rhiannon Mahoney, Diebin .« Der Ruf des Wächters hallte den Flur entlang und schien sie zu verspotten. Er erinnerte sie daran, dass sie in diesem Moment nichts und niemand war. Wenn sie doch nur wenigstens anständig aussehen würde, aber ihr Kleid war verschmutzt und verknittert, und ein Stück des Saums war ausgerissen, weil jemand »aus Versehen« daraufgetreten war. Ihr einziger tröstender Besitz war ihr Schalumhang, den man ihr wieder ausgehändigt hatte, als sie Newgate verließ. Er war aus einer halbdurchsichtigen Woll-Seiden-Mischung, die sich Barege nannte. Es schien Rhia wichtig, sich die Namen der Materialien zu merken, denn das bedeutete, dass sie noch die Alte war, sich immer noch etwas aus den schönen Dingen des Lebens machte. Sie drapierte das Tuch über ihre verknoteten Haare und überkreuzte es an den Schultern.
    So stand sie auf dem Podest und suchte nach irgendeinem Zeichen, dass sie nicht allein war. Man nannte das Podest das Dock, vielleicht weil so viele, die hier standen, bald fortsegeln würden – entweder über dem Boden oder über das Meer. Auf der Innenwand des Docks war ein weiterer Psalm befestigt:
    Ihr sollt nicht falsch bei meinem Namen schwören; du würdest sonst den Namen deines Gottes entweihen.
    Aus der Galerie oben starrte ein ganzes Meer von Gesichtern auf sie herab. Der Vorwurf in den Augen von Menschen, die sie nicht einmal kannte und denen sie nichts getan hatte, verblüffte Rhia. Rasch senkte sie den Blick. Sie würde heute freikommen, und dann würden ja alle sehen, dass sie unschuldig war, und es würde ihnen leidtun. Trotzdem spürte sie Tränen aufsteigen. Sie hielt das nicht aus – wie konnte irgendjemand das aushalten? War sie die einzige Person hier im Raum, die wusste, dass sie keine Diebin war?
    Rhia zwang sich dazu, den Kopf zu heben und trotzig wieder in die Galerie hinaufzublicken, wo sie direkt in die Augen von Mr Dillon sah. Rhia schnappte nach Luft, und ihr Herz machte einen Satz. Er saß am anderen Ende der Galerie, Notizbuch und Bleistift in der Hand. Er nickte ihr zu. In diesem Moment war ihr völlig egal, ob er hier war, um etwas Unfreundliches über sie zu schreiben, so erleichtert war sie, ein vertrautes Gesicht zu sehen.
    Die elende Aufgabe des Anklägers hatte offensichtlich seine Gesichtszüge geformt. Sein Mund war schmal und hatte einen gemeinen Zug, und gemessen an den Furchen zwischen seinen Augenbrauen hatte er selten Anlass zu lächeln. Vermutlich erwartete er das Schlimmste vom Leben, genau wie von jeder armen Seele, die im Dock stand. Er räusperte sich lautstark, und es wurde still im Raum. Als er sprach, hob er den Blick kaum von seinem Bündel Notizblätter.
    Rhia hielt ihre Angst im Zaum, indem sie so tat, als sei das Gericht ein Theater, der Richter ein Erzähler, der in das Stück einführte, es kommentierte und es voraussichtlich auch zum Abschluss brachte. Die Rolle des Anklägers war es, dem Angeklagten eine bestimmte Anzahl wohlüberlegter Fragen zu stellen. Wie im Theater riefen die Zuschauer dazwischen oder applaudierten und brachten generell ihre Meinung zum Ausdruck. Die einzige Figur, die keine Rolle zu spielen hatte – deren Worte den Ausgang des Stückes nicht wirklich beeinflussten –, war der Angeklagte.
    »Rhiannon Mahoney, Sie werden von der Britischen Krone angeklagt, und es wurde zu Ihrer Verteidigung kein Antrag eingereicht.« Ein Gerichtsdiener trat vor und flüsterte dem Ankläger etwas ins Ohr. Von der Galerie erklang Gemurmel. Der Ankläger nickte kurz, und der Diener trat zurück. »Man hat mich soeben informiert, dass Ihr Verteidiger es

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