Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Sie glauben, ich eigne mich besser zur Verkäuferin.« Seine Augenbrauen schossen in die Höhe, und Rhia hätte fast gelacht. Kein Wunder war Mrs Montgomery doch immer beschwipst – Alkohol machte das Leben so viel angenehmer.
Mr Montgomery lächelte, um seine Überraschung zu verbergen. »Ich dachte, die Arbeit im Laden könnte Sie vom Tod Ihres Onkels ablenken.«
Hatte er ihr die Stelle dann nur als wohltätige Geste angeboten? Fand er ihre Entwürfe tatsächlich sehr vielversprechend, oder war dies nur galanter Altruismus? Diese unerwarteten Nettigkeiten machten sie ganz gefühlsduselig. Sie verspürte außerdem das dringende Bedürfnis, ihre Ängste loszuwerden. Schließlich war Mr Montgomery ein Kollege ihres Onkels gewesen. »Ich schätze, Sie haben die Gerüchte gehört?«, äußerte sie vorsichtig.
Er runzelte die Stirn. »Gerüchte?«
»Dass der Tod Josiah Blakes kein Unfall war. Glauben Sie nicht … gehen Sie nicht davon aus, dass mein Onkel und Mr Blake beide von derselben äußeren Kraft dazu gebracht wurden, sich das Leben zu nehmen …?«
Mr Montgomery wirkte geschockt, und als sie Isaacs Blick begegnete, sah dieser finster drein. Rhia bereute ihre Worte sofort. Plötzlich fühlte sie sich völlig nüchtern. »Aber ich hätte es nicht erwähnen sollen, so ohne Beweise …«
Mr Montgomery hatte sein Lächeln wiedergefunden. »Natürlich müssen Sie Ihre Ängste äußern«, beschwichtigte er sie. »Das gehört zum Trauerprozess dazu. Da ist es völlig normal, misstrauisch zu sein, wobei ich hoffe, dass Ihr Verdacht jeglicher Grundlage entbehrt.« Er wirkte jedoch nicht überzeugt, dachte Rhia, und sie fragte sich, ob alle anderen mehr über die Angelegenheiten ihres Onkels wussten als sie selbst.
Mr Montgomery entschuldigte sich, und da auch Isaac plötzlich verschwunden war, holte Rhia ihren Umhang und bat einen Diener, ihr eine Kutsche zu rufen. Sie brachte es nicht über sich, sich offiziell zu verabschieden, ging jedoch davon aus, dass niemand sie vermissen würde. Sie war noch nie gut im Feiern gewesen und sehnte sich auf einmal ganz heftig nach Beths Ingwerkuchen.
31
S TICKEREI
Rhia zündete die Lampe an und schob die Zeichenpapiere, die auf dem Tisch im Lager verteilt lagen, zur Seite. Ihr blieben knapp zwei Stunden bis zur Ladenöffnung, aber die Damaszenerrose wollte einfach nicht so werden, wie Rhia sich das vorstellte, und sie konnte sich auch nicht entscheiden, was sie mit dem Indigo machen sollte. Beide brauchten etwas Grün.
Sie hatte fast den gesamten Tisch mit Entwürfen bedeckt, als sie Grace kommen hörte. Es kam ihr gar nicht so vor, als sei überhaupt Zeit vergangen, und doch war es bereits zehn. Sie hatte die schwer fassbare Grünschattierung immer noch nicht gefunden, die sich weder mit Rosenrot noch Indigo beißen würde, und sie wollte auch nicht zu viel von ihren kostbaren Pigmenten vergeuden – ein kleines Gefäß voll kostete schon einen ganzen Shilling.
Sie räumte gerade ihre Pinsel auf, als es an der halb geöffneten Tür klopfte und Isaac Fisher das Lager betrat. Sie hatte ganz vergessen, dass er heute vorbeikommen wollte, um die Stoffreste für das Sträflingsschiffkomitee abzuholen. Antonia war immer noch damit beschäftigt, die Vorbereitungen für Mathildas nächste Reise nach Kalkutta zu überwachen. Isaac trug eine große Tasche und wirkte ein wenig angespannt, als sie sich begrüßten. Vielleicht war ihm Rhias Indiskretion in Belgravia so unangenehm wie ihr selbst.
»Miss Elliot sagt, sie würde Sie gerne kurz im Laden sprechen«, erklärte Isaac und stellte seine Tasche auf dem Tisch ab. Warum konnte Grace ihr das nicht selbst sagen? Draußen im Verkaufsraum wirkte Grace sehr mit sich zufrieden. »Mir ist gerade wieder eingefallen, dass Mr Montgomery gesagt hat, wenn es ruhig ist, sollen wir die Regale oben abstauben, und ich finde den Staubwedel nicht. Haben Sie ihn im Lager hinten?«
Vermutlich hoffte sie, dass Rhia anbieten würde, das Abstauben zu übernehmen.
»Tut mir leid, nein, ich habe ihn nicht gesehen«, erwiderte Rhia, verärgert darüber, dass sie ohne guten Grund unterbrochen worden war. Grace sollte den Laden natürlich nicht unbeaufsichtigt lassen, aber wenn sie die Stimme ein wenig hob, konnte Rhia sie im Lager ganz gut hören. Manchmal dachte sie, dass Grace einfach ab und an gern ein wenig Gesellschaft hatte, und da war ihr sogar Rhia recht. In der Regent Street war es, genau wie am St. Stephen’s Green, im Februar ziemlich
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