Am Horizont die Freiheit
tatsächlich den Teufel in deinem eigenen Bild gesehen.«
»Ihr macht Euch über mich lustig.«
»Aber – glaubst du wirklich, wenn ich einen Pakt mit einem Teufel oder einem anderen mächtigen Wesen geschlossen hätte, würde ich in dieser löcherigen Hütte leben?« Die Frau lachte und zeigte auf die noch am Boden stehenden Töpfe. »Suche die, die in den Palästen leben, die Könige, die Reichen, die Inquisitoren, die Mächtigen. Sie haben tatsächlich einen Pakt mit dem Teufel und ihren eigenen Leidenschaften geschlossen.«
Joan blickte sie schweigend und ernst an. Bald lachte sie nicht mehr. Ihre Miene wurde ernster, und sie sagte: »Nein. Ich mache mich nicht lustig. Ich habe auch gehasst. Auch ich war verzweifelt. Als ich dich sah, wurde mir klar, dass du an demselben Übel leidest wie ich damals. Ich wollte wissen, wie groß dein Hass war, und habe gesehen, dass du zu allem bereit warst, um Genugtuung zu bekommen. Ich habe dir geholfen, in die Welt deiner Hirngespinste einzudringen. Dann habe ich deinen Hass angestachelt, und als du ihn vollständig gezeigt hast, habe ich dein Gesicht mit der Lampe beleuchtet, damit du es selbst im Wasserspiegel des Bottichs betrachten konntest. Dein eigenes Bild hat dich so sehr erschreckt, dass du bald deine Galle und, wie ich hoffe, einen Teil deines Hasses ausgespien hast. Der Hass ist eine Krankheit, und wenn du ihn nicht loswerden kannst, wird er dich auffressen.«
Der Junge aß langsam weiter, während er über diese Worte nachdachte. Er konnte nicht glauben, dass das Ungeheuer, das er im Bottich gesehen hatte, sein eigenes Spiegelbild gewesen war.
»Und das ist alles?«, fragte er schließlich. »Ich bin hergekommen, weil ich mich rächen wollte, und alles, was Ihr mir sagt, ist, dass ich nicht mehr hassen soll?«
»Wenn du nicht hasst, musst du dich nicht mehr rächen.«
»Ja, das stimmt wohl. Aber mit dieser Erklärung helft Ihr mir nicht. Ich hasse immer noch.«
»So sehr wie gestern?«
Joan dachte darüber nach.
»Nein. Du hasst nicht so sehr«, behauptete sie, ohne eine Antwort abzuwarten. »Aber diese Krankheit wird nicht mit einem Mal geheilt. Hör zu, Joan, verwende deine Kraft dafür, deine Familie und deine Liebste zu finden und deine Unschuld zu beweisen, aber vergeude sie nicht mit Hass.«
»Ihr sagt mir nichts, was ich nicht schon weiß. Ihr habt mir immer noch nicht geholfen.«
»Hör genau auf meine Worte.« Die Hexe blickte ihn streng an. »Gestern habe ich einiges über dich erfahren, und frage mich nicht, wie. Ich sage dir, dass du deine Probleme bald lösen kannst. Geh zurück ins Kloster und werde mit der Wirklichkeit fertig.«
»Woher wollt Ihr das wissen?«
Sie zuckte die Achseln.
»Das habe ich gesehen.«
»Wie habt Ihr das gesehen?«
»Ich habe es gesehen, und mehr Erklärungen gibt es nicht.«
»Was habt Ihr mir gestern Abend in den Trank gemischt?«
»Ich habe auch keinen Grund, warum ich dir das erklären soll. Jetzt geh endlich.«
»Wenn es stimmt, was Ihr sagt, stehe ich tief in Eurer Schuld. Ich muss Euch mehr bezahlen. Drei Geldstücke sind nichts.«
»Du hast mich schon bezahlt.«
»Wie?«
»Mit deiner Umarmung heute Nacht. Seit zehn Jahren habe ich nicht mehr die Wärme eines anderen Menschen genossen. Du bist so alt, wie es meine ältere Tochter wäre, wenn sie noch lebte. Ich habe sie in dir gespürt, und auch meinen Mann und meine übrigen Kinder. Ich bin über deinen Hass hinausgegangen, ich habe deine Liebe bemerkt. Warst du wirklich bereit, mir deine Jungfräulichkeit zu opfern?« Die Frau lachte. »Deine Wärme, deine Zärtlichkeit waren heute Nacht mehr als genug. Und jetzt hinaus mit dir.«
Sie nahm den Mantel des Jungen, öffnete die Tür und forderte ihn erneut auf, hinauszugehen. Joan gehorchte, und als er die Frau auf die Wange küsste, atmete sie tief ein und genoss die feuchte Morgenluft.
45
A ls Joan in die Calle Santa Anna kam, hörte er, wie die Glocken des Klosters zur Terz riefen. Er wartete einige Zeit, bis die Mönche in der Kirche waren, damit er ungesehen in seine Zelle gelangen konnte. Er holte sein Buch, die Feder und das Tintenfass. Doch er konnte nicht schreiben, und er wunderte sich, dass ihm zum ersten Mal die Worte fehlten. Er setzte sich auf sein Bett, stützte die Ellbogen auf die Knie und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Er musste nachdenken, das Erlebte verarbeiten. Er begann mit dem Gespräch, das er mit dem Subprior geführt hatte. Er hatte Gott verleugnet!
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