Am Horizont die Freiheit
Teufel deine Seele. Verwandle dieses Gefühl in Pläne, selbst wenn es Rachepläne sind.«
Sie gab ihm ein Säckchen mit Teekräutern gegen die Rachsucht, und er bezahlte sie mit ein paar Münzen, einer langen Umarmung und einem Kuss auf die Wange. Sie war abweisend und einsam, und trotzdem fühlte Joan, dass sie seine Freundin war – und er vielleicht der einzige Freund, den sie hatte.
Ihm blieb genug Zeit, um sich von seinen Freunden zu verabschieden und sich ausführlich mit Abdalá zu unterhalten, dem er manchmal beim Abschreiben half. Außerdem las er unter der Anleitung des Mauren einige der Bücher, die der Kaufmann in seinem Haus hatte. Die drei hatten ihre Freude daran, wenn sie darüber sprachen. Der Alte sagte ihm, erst wenn man das Schicksal annehme, könne man sich bemühen, es zu verändern. Die wahre Sklaverei liege in der Seele und in der Angst, die die Menschen stärker als alle Ketten fesselte.
Seinem Bruder gab er die Büchersammlung, die ein sehr wichtiger Teil seines Lebens war. »Heb sie an einer sicheren Stelle auf«, wies er ihn an. Gabriel fragte, warum er Lluís beauftragt hatte, ein weiteres Buch herzustellen, das so klein sein sollte, dass es in seine Manteltasche passte.
»Das wird mein neues Lehrlingsbuch sein«, kommentierte Joan.
»Lehrlingsbuch?«, fragte Gabriel erstaunt. »Aber du bist ja schon Gießermeister.«
»Dafür bin ich im Leben nur ein Lehrling«, erwiderte Joan mit einem traurigen Lächeln. »Das beweist meine Galeerenstrafe für einen Mord.«
Dann gab er seinem Bruder die Azcona ihres Vaters. Sie umarmten sich, und Joan flüsterte ihm unter Tränen zu: »Versprich mir, dass du wirklich frei sein wirst.«
»Das werde ich sein, Joan, ganz bestimmt«, versicherte ihm Gabriel schluchzend.
Außerdem überließ Joan seinem Bruder die Korallen, die er noch übrig hatte, und seine Ersparnisse. Er wollte nur einen Teil seines Geldes auf die Galeere mitnehmen, weil ihn höchstwahrscheinlich die Aufseher oder andere Sträflinge bestehlen würden.
Es war ein strahlender Morgen Ende April. Die vielen Orangenbäume in den Gärten Barcelonas erfüllten die Stadt mit ihrem süßen Blütenduft. Am nächsten Tag würde die Flotte auslaufen, daher musste nun der erste Teil des Urteils ausgeführt werden. Joan ging ins Santa-Anna-Kloster, wo er bei Bruder Antoni beichtete. Er hörte seine Ratschläge an und nahm an der Messe teil. Danach lief er zusammen mit Gabriel und seinen Freunden zur Plaza del Blat. Dort befand sich das Stadtgefängnis. Einen Tag zuvor hatten die Ausrufer das Urteil, den Ort und die Zeit in der ganzen Stadt bekanntgegeben. Es erwarteten sie der Gerichtsdiener, der Henker und ein Trupp Armbrustschützen der Flotte Vilamarís. Außerdem eine Abordnung der Zunft der Kanonengießer.
Der Henker entkleidete Joans Oberkörper und ließ ihn auf einen Esel steigen. Er fesselte ihm die Hände und brachte am Sattel des Tiers einen Apparat an, der Joans Kinn festhielt, so dass er nicht den Kopf senken konnte. Auf diese Weise konnten ihm alle, während er der »öffentlichen Schande« preisgegeben wurde, ins Gesicht blicken.
Der Weg der Schande begann gewöhnlich am Stadtgefängnis und führte über eine Rundstrecke zum Ausgangsort zurück. Auf dem Weg gab es hundert Straßenecken, und an jeder einzelnen versetzte man dem armen Sünder einen, zwei oder drei Peitschenhiebe, je nachdem, wie es dem Urteil entsprach. Im Fall Joans beschränkte sich der Weg auf fünfzig Ecken, denn seine Strecke endete am Hafen. Dort würde ihn der Gerichtsdiener dem Rudermeister einer Galeere übergeben, und darum sollte er zwei Peitschenhiebe an jeder Ecke erhalten. Man hängte dem Esel ein Schild um den Hals. Darauf stand das Verbrechen des Jungen: »Hat jemanden bei einem Streit erdolcht.« Auch diesen Text hatte man genau vereinbart.
Ein Trupp von dreißig Armbrustschützen der Flotte eröffnete den Zug, eine Trommlergruppe und eine weitere Abteilung Armbrustschützen schlossen ihn ab. Doch die Zunft der Metallarbeiter war ebenfalls vertreten. Sie hätten hundertmal mehr Truppen als all jene bereitstellen können, die die Flotte im Hafen hatte, wählten allerdings unter den stämmigsten Schmieden nur fünfzig Freiwillige aus. Obwohl sie Armbrüste, Helme und Rüstungen besaßen, würden sie ohne Waffen vorbeiziehen, jedoch ihre typischen Werkzeuge und die Fahne des heiligen Eligius dabeihaben. Sie trugen eine Lederschürze, die sie vor den Funken und dem glühenden
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