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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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Zwei Jahre lang müsste er das hier erdulden. Entmutigt legte er die Hände auf den Rudergriff und den Kopf auf die Hände. Wie weit war er von dem entfernt, was sein Vater von ihm gefordert hatte! Dass er für seine Freiheit und die seiner Familie kämpfte. Er war bei allem gescheitert.
    Er dachte an Abdalá, der ihm gesagt hatte, wahre Freiheit gebe es nur im Inneren, und der Mensch könne in seinem Denken frei sein, selbst wenn es sein Körper nicht sei. Er wollte nicht klein beigeben, sich nicht die Würde nehmen lassen.
    Er öffnete die Augen, um aufmerksam zu betrachten, was ihn umgab. Ein Mann auf der Ruderbank vor ihm ließ die Hosen herunter und entleerte sich auf der Stelle. Joan verspürte Ekel, und zugleich begriff er, dass ihn niemand von seinen Ketten befreien würde, wenn er seine Notdurft verrichten müsste.
    »Am Ende gewöhnst du dich daran«, sagte der Junge rechts von ihm.
    Joan blickte ihn wortlos an. Der andere war nicht älter als achtzehn und hatte zarte Gesichtszüge ohne jede Spur eines Bartwuchses. Er war schlank, und seine riesigen blauen Augen traten aus den tiefen, sie umgebenden Schatten hervor. Ihm kam es sonderbar vor, dass sich der Junge hier befand. Wie lange könnte er auf dieser Ruderbank durchhalten?
    »Ich bin Joan«, stellte er sich vor.
    »Und ich Carles«, antwortete der andere. »Ich rate dir, dass du deinen Beutel an die Haken unter der Bank hängst, wenn du nicht willst, dass er schmutzig wird«, sagte er lächelnd.
    Joan sah, dass die Exkremente auf Deck liegen blieben, und suchte eilig nach den Haken. Dann blickte er zu dem Mann hinüber, den er links von sich hatte. Er war stämmig und hatte eine sonnengegerbte Haut. Er sah so aus, als wäre er schon lange ans Ruder gefesselt. Ihre Blicke begegneten einander, und er fühlte sich verpflichtet, ihn anzusprechen.
    »Sei gegrüßt. Ich bin Joan«, sagte er.
    »Amed«, antwortete der andere nach einer Weile.
    Joan nahm an, dass der Mann nicht reden wollte, und nachdem er zustimmend genickt hatte, drehte er sich fragend zu Carles um.
    »Er ist Muslim und spricht nicht unsere Sprache«, klärte ihn der Junge auf, ohne abzuwarten, dass Joan ihn danach fragte. Seine Redeweise wirkte sonderbar. »Er ist Kriegsgefangener. Auf jeder Bank sitzt einer. Sie bringen nicht mehr unter, um Meutereien zu vermeiden. Der hier ist Berber, aber es sind auch Türken dabei. Es heißt, die Nordafrikaner wie Amed sollen gefährlich sein, weil du nie weißt, wann sie dich angreifen. Aber sie sind erfahrene Seeleute und die besten Ruderer von allen. Darum, und weil er stark ist, geben sie ihm das längste und schwerste Ruder. Mich dagegen setzen sie an die Bordseite, ich habe das leichteste Ruder.«
    Joan bemerkte an Carles einen eigenartigen Wesenszug. Seine Bewegungen und seine Sprechweise, die einen ausgeprägten nordkatalanischen Akzent aufwies, wirkten manieriert, beinahe weibisch. Er nahm die Freundlichkeit des anderen mit Argwohn auf. Er hatte Angst, dass der Junge zu jener Art von Männern gehörte, die nach anderen Männern suchte. Früher hatte er nie mit einem von ihnen zu tun gehabt, doch er sagte sich, dass sie andere Männer zur Wollust erregten, besonders an Orten, an denen es keine Frauen gab. Er spürte Abneigung gegen Carles. Für Sodomie wurde man mit dem Tod bestraft. Deshalb, und weil die Leute sie verachteten, bemühten sie sich, nicht aufzufallen. Joan sagte sich, dass sich dieser Junge trotzdem nicht verbergen konnte, sosehr er es auch versuchte. Instinktiv wich er vor ihm zurück, obwohl ihn die Ketten daran hinderten, sich zu entfernen. Carles bemerkte die Geste und verstummte.
    Auf einmal spürte Joan, dass ihm jemand auf die Schulter klopfte, und eine raue Stimme sagte: »He, was ist los? Gefällt dir unser Mädchen nicht? Nun, uns ja!«
    Dann brach eine Männergruppe in lautes Gelächter aus. Einer betastete Carles.
    »Lass mich los!«, rief dieser. Er sprang hoch und versuchte, sich so weit von dem Kerl zu entfernen, wie es ihm seine Ketten erlaubten.
    Die auf der Bank hinter ihnen lachten wieder. Das fand Joan zwar nicht witzig, doch er begrüßte sie und stellte sich vor. Zwei waren Christen, und derjenige, der das Wort führte, ein gewisser Jerònim, ruderte genau hinter Carles. Der Dritte war ein Muslim, der kaum etwas sagte und sich nicht an der Hetzjagd beteiligte.
     
     
    In diesem Moment erklangen draußen Hörner und Trommeln. Der Rudermeister brüllte einige Befehle und scheuchte damit die Aufseher und

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