Am Horizont die Freiheit
Sträflinge hoch.
»Das sind gewiss die Vertreter der Stadt und des Regenten, die die Flotte verabschieden wollen«, kommentierte Carles. »Wir legen gleich ab.«
»Was muss ich tun?«, erkundigte sich Joan beunruhigt. »Keiner hat mir etwas erklärt.«
»Wir Ruderknechte lernen voneinander und von der Peitsche des Aufsehers«, antwortete Carles. »Die Befehle werden mit Hornsignalen erteilt. Es gibt unterschiedliche, je nachdem, ob sie für alle oder nur für Backbord oder Steuerbord, Bug oder Heck sind. Tu vorläufig das Gleiche, was ich tue, aber erinnere dich an das Signal und das Manöver.« Nachdenklich setzte er hinzu: »Du siehst ja, ich habe von dem gelernt, der dort saß, wo du jetzt bist, und du lernst von mir.«
»Was ist mit ihm geschehen?«
»Dasselbe wie allen. Er ist gestorben.«
»Woran?«
Carles zuckte die Achseln.
»Ich weiß nicht«, sagte er. »Vielleicht hat ihn die Scheiße rund um uns vergiftet, oder das wenige und schlechte Essen hat ihn umgebracht, oder es waren die Peitschenhiebe oder die Erschöpfung oder vielleicht auch die Sonne. Er war drei Jahre an diese Bank gekettet. Er war ganz mager, hatte Durchfall und kam mit dem Ruder nicht mehr zurecht. Die Aufseher schlugen ihn mit der Peitsche, aber dadurch bewegte er sich noch langsamer. Schließlich holten sie ihn heraus und brachten ihn unter Deck. Es heißt, dass ihm der Pfarrer die Beichte abnehmen konnte, bevor er starb. Sie steckten ihn zusammen mit einem Stein in einen Sack, nähten den zu und warfen ihn ins Meer, nachdem sie auf der Strecke von Salses nach Barcelona über die Medas-Inseln hinaus waren.«
Als der Name dieser Inseln fiel, bei denen er rote Korallen herausgeholt hatte, trieb dies Joan die Tränen in die Augen. Er erinnerte sich an das blaue Meer, das durchsichtige Wasser, die Sonne, die
Möwe
zusammen mit seinem Vater und ihren Gefährten. Er erinnerte sich auch daran, dass die Männer sangen, wenn sie nach Llafranc zurückkehrten, besonders, wenn der Fang gut war. Alte Lieder, alte Erinnerungen. Und er summte ein Lied.
Der Rudermeister schrie Befehle. Beim ersten Hornsignal standen die Sträflinge auf, streckten die Arme und den Körper nach vorn, zum Heck, holten das Ruderblatt aus dem Wasser und hoben es so weit wie möglich in die entgegengesetzte Richtung, zum Bug. Joan beeilte sich, es ihnen nachzumachen. Er sah, wie die Rudermeister mit der Peitsche in der Hand auf dem Mittelgang liefen und mit drohender Miene die Bewegungen der Ruderknechte beobachteten. Man brüllte einen weiteren Befehl, aber alle blieben regungslos stehen und hielten die Ruder hoch.
»Es ist das Signal für ›volle Kraft voraus‹, aber wir müssen warten«, murmelte Carles.
Als ein zweites Signal zu hören war, tauchten alle Galeerensträflinge gleichzeitig die Ruder ins Wasser, während sie die Füße aufstützten und sich mit ihrem ganzen Körpergewicht auf die Bank fallen ließen. Das Schiff glitt majestätisch dahin.
Der tiefe und rhythmische Klang einer großen Trommel stimmte die Bewegungen der Ruderknechte aufeinander ab. Sie richteten sich immer wieder auf und ließen sich dann gleichzeitig auf die Bank fallen.
Joan ruderte und blickte zum Heck. Als er sah, dass Barcelona in der Ferne verschwand und damit sein Bruder Gabriel und seine Freunde, durchfurchten ihm Tränen die Wangen. Er merkte, dass ihn Carles heimlich beobachtete.
Ob ihm das Schicksal erlauben würde, eines Tages heimzukehren? Seine Strafe brachte ihm gerade dem Ort näher, nach dem er sich sehnte: Neapel. Doch zugleich entfernte sie ihn von seinen Träumen.
Wütend schwang er das Ruder und wollte durch die Anstrengung den ihn peinigenden Kummer betäuben. Joan war großgewachsen, und sein kräftiger zweiundzwanzigjähriger Körper war daran gewöhnt, Gussformen und -stücke zu bewegen, so dass sich das Holz durchbog.
»Ruhig«, sagte Carles. »Hab keine Eile, denn jeder Ruderschlag bringt uns dem Tod näher.«
63
D ie Galeeren ruderten nach Osten. Als die
Santa Eulalia
das Segel aufspannte, machten es ihr die anderen Schiffe nach. Der Wind war günstig, und der Admiral hatte keine Eile. Deshalb ließ man die Bugmannschaft ausruhen, während die Hälfte der Heckmannschaft weiterruderte.
Joan legte sein Ruder auf das Gestell, das es senkrecht hielt, und trank aus dem Schlauch, der wenig mehr als zwei Liter enthielt und den man ihm gegeben hatte.
»Halte dich zurück«, warnte ihn Carles. »Das ist das ganze Wasser, das du für den Tag
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