Am Horizont die Freiheit
ungerecht: Ich habe diesen Aufseher getötet, um mich selbst zu verteidigen, so wie es die Zeugen ausgesagt haben.«
Der Kapitän wechselte einen Blick mit dem Admiral, und dieser wandte sich zum ersten Mal an Joan: »Gerecht ist auf einer Galeere, was der Kapitän für gerecht erklärt«, sagte Vilamarí bedächtig. »Also war es gerecht, dass dieser Junge sterben musste, und es war auch gerecht, dass man dich nicht hingerichtet hat und dass du nur zehn Peitschenhiebe abbekommen hast. Der Einzige, der dieses Gerichtsurteil anzweifeln könnte, bin ich. Und das tue ich nicht, weil ich es so haben möchte.«
Joan wagte es nicht zu widersprechen, und der Admiral blickte ihm fest in die Augen.
»Ein Kapitän muss seine Macht benutzen, um sein Schiff zu beschützen und eine vollkommene Kriegsmaschine daraus zu machen«, sprach Vilamarí weiter. »Die Mannschaft ist dabei am wichtigsten. Entscheidend ist, Disziplin, Autorität und Achtung der Rangordnung aufrechtzuerhalten. Darum musste dein Freund auf abschreckende Weise sterben, weil er einen Aufseher getötet hat. Ein Galeerensklave, der sich erhebt, stirbt. Ebenso dienst du als abschreckendes Beispiel dafür, dass es niemand wagt, einen unserer Seeleute an Land anzugreifen, ob man dabei recht hat oder nicht. Wenn man die Mannschaft beschützt, heißt das, das Schiff zu beschützen.« Vilamarí schwieg einige Zeit und blickte zum Kapitän hinüber, der zustimmend nickte. »Die Aufseher haben recht. Ohne deine Hilfe hätte dieser Junge nicht ihren Kameraden töten können. Und wenn du lebst, so nur wegen deines Geschicks an den Geschützen. Du verbesserst die Wirkungskraft der Galeere. Darum entscheidet der Kapitän mit Recht, dass du nur zehn Peitschenhiebe verdienst, weil du nicht genug getan hast, um den Aufseher zu retten.«
Er machte wieder eine Pause. Es war ein sonniger Tag, und der Admiral sah zu den Segeln hinüber, die ein günstiger, die Galeere nach Süden treibender Wind blähte. Dann sprach er weiter.
»Und ich will dir sagen, warum es auf unseren Schiffen keine Sodomiten gibt.« Er hielt abermals inne und betrachtete Joan, um seinen Gesichtsausdruck zu prüfen. »Auf meinen Galeeren gibt es keine Inquisition, und ich will auch keine hier haben. Jeder kann so leben, wie er es am besten versteht, solange er nicht Ordnung und Disziplin stört. Aber wenn sich Sodomiten zeigen, werden sie hingerichtet, und sie zeigen sich, wenn jemand vergewaltigt und die Ordnung gestört wird.«
»Wenn es also Schändungen gibt und die Ordnung nicht gestört wird, gibt es keine Sodomiten?«, wollte Joan überrascht wissen.
»Wir wollen nicht über etwas urteilen, was wir nicht kennen«, griff der Kapitän ein.
»Gib acht, Junge«, erklärte der Admiral weiter. »Man hat mir erzählt, dass du ein kluger Kopf bist. Du verstehst nicht nur etwas von Artillerie, sondern bist auch ein guter Schreiber und sprichst mehrere Sprachen. Du kannst für uns nützlich sein, deine Strafe ohne übermäßige Mühsal abbüßen und lebend davonkommen. Mach aber ab jetzt keine Dummheit mehr.«
Der Junge nickte zustimmend und sagte: »Wie Ihr befehlt.«
Joan schrieb in sein Buch: »Es wird besser sein, dem Admiral zu gehorchen.« Und er setzte hinzu: »Aber es ist immer noch ungerecht.«
72
D as Wetter war gut, der Wind günstig und das Meer ruhig. Joan war nicht mehr am Ruder angekettet, doch es gelang ihm nicht, seine eingeschränkte Freiheit, die besseren Bedingungen und die schöne Landschaft der korsischen Küste zu genießen. Sein Blick wandte sich immer wieder nach oben, zum Ende des Großmastes – zu Carles’ Leiche, die dort wie ein unheilvolles Feldzeichen hing, und zu den Möwen, die sich von ihr nährten. Immer, wenn er ein Krächzen hörte, zuckte er zusammen.
Er brauchte Zeit, um die richtigen Schlussfolgerungen aus Vilamarís Vortrag über Gerechtigkeit zu ziehen.
Am Ende schrieb er in sein Buch: »Er lässt den Vorteil des Mächtigen zu Gerechtigkeit werden. Aber Gott hat unserem Herzen etwas eingegeben, was es uns ermöglicht, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Das ist Gerechtigkeit.«
Der Kapitän fand schon bald eine Beschäftigung für ihn. Joan konnte beinahe makellos schönschreiben, und das, obwohl das Schiff auf dem Meer schlingerte. Seine Kunst war der des Galeerenschreibers bei weitem überlegen. Also ging man dazu über, ihm die wichtigsten Briefe zu diktieren. Von den Bordoffizieren konnten nur der Admiral, der Kapitän und der Steuermann lesen und
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