Am Horizont die Freiheit
ersparen, verstohlen zu beobachten, wie der Kapitän und der Admiral bestürzt den Zwischenfall kommentierten. Damit er nicht zur Zielscheibe ihres Zorns wurde, verbarg er das Lachen, das ihre betroffene Miene bei ihm hervorrief. Wie würden sie sich angesichts einer solchen Respektlosigkeit verhalten? Schließlich war so etwas nicht gut für die Ordnung, es war nicht gut für die Moral, und es war nicht gut für das Schiff. Aber Carles war für immer ihrer ungerechten Gerechtigkeit entkommen.
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D er Kapitän überprüfte die beim Sturm erlittenen Verluste. Man stellte fest, dass am Bug zwei Ruderknechte umgekommen waren und ein weiterer schwer verletzt wurde, weil ein Balken herabgestürzt war. Außerdem hatten viele kleinere Verletzungen erlitten, doch sie trösteten sich: In manchen Augenblicken hatten sie schon gedacht, dass sie den Fischen zum Fraß dienen würden. Sie waren am Leben, und das bedeutete viel. Die Fahrtüchtigkeit der Galeere war durch die Schäden nicht beeinträchtigt, allerdings waren zahlreiche Ausbesserungen vorzunehmen. Auch beim Schießpulver gab es Verluste. Ein paar Fässer hatten sich losgerissen und waren zerborsten, und das Wasser machte noch ein paar mehr unbrauchbar. Der Kapitän bestrafte die verantwortlichen Seeleute für ihre Nachlässigkeit und übertrug Joan die Aufsicht über die Schiffsartillerie. Tatsächlich war er nun für alle mit Pulver geladenen Waffen zuständig. Dazu gehörten auch die Arkebusen, sowohl diejenigen, die die Seeleute vom Schiff aus abfeuerten, als auch diejenigen, die die Fußsoldaten beim Entern und an Land benutzten. Er war nun Aufseher der Feuerwaffen, und selbst wenn es der Kapitän nicht anerkannte, kam dies einer Offiziersstellung gleich. Pau de Perelló machte ihm jedoch unmissverständlich klar, dass er immer noch ein Sträfling war, der seine Strafe verbüßte, und dass man jeden Fehler, den er machte, aufs Strengste bestrafen würde.
Vilamarí wollte zudem, dass er weiterhin seine Arbeit als Schreiber leisten und den
Verliebten Roland
vorlesen sollte. Das war viel Mühe, doch wenigstens würde man ihm die Ketten abnehmen, die er noch an den Füßen trug.
Allerdings gewährte man ihm diese Freiheit nicht ohne Bedingungen: »Du musst bei Gott und deiner Ehre schwören, dass du nicht fliehen wirst, bevor du deine zweijährige Strafe verbüßt hast«, sagte Vilamarí.
Joan zögerte. Er hatte so sehnsüchtig davon geträumt, dass er fliehen und mit Anna zusammenkommen würde, wenn sie in Neapel eintrafen! Falls er schwor, müsste er gehorchen, obgleich die Versuchung zu fliehen übermächtig wirkte, wenn Anna so nahe war. Doch was für ein Leben könnte er seiner Liebsten bieten, wenn er floh? Nein, eine Flucht war unvernünftig, sie würde ihn noch weiter von ihr entfernen.
»Gestattet mir, dass ich schwöre, diese zwei Jahre Euren Befehlen zu gehorchen, wie Ihr es anordnet.«
Joan wusste, dass der Admiral die Macht hatte, seine Strafe umzuwandeln oder zu mildern, und er hoffte, dass Vilamarí sie verkürzte, wenn er ihm gut diente. Der Admiral stimmte zu. Als Joan sah, wie entgegenkommend er sich verhielt, bat er, ihn von der Pflicht der Sträflinge zu befreien, sich alle zwei Wochen das Haar kurz scheren zu lassen. Das lehnte der Admiral ab, doch der Junge sagte sich, dass er es später wieder versuchen würde. Stattdessen erhielt er die Erlaubnis, sich wie ein Seemann anzuziehen, und da er etwas Geld in seinem Sack übrig hatte, beschloss er, Kleidung zu kaufen, sobald sie das Festland betreten würden.
Als sie Sizilien erreichten, fanden sie eine zweite Galeere der Flottille vor. Sie hatte während des Sturms größere Schäden erlitten und ihren Mast eingebüßt. Das dritte Schiff war spurlos verschwunden. Als sie in die Bucht von Palermo einliefen, war das Meer ruhig, und von der Burg aus wurden sie mit Artilleriesalven begrüßt. Joan gab auf Verlangen des Admirals die übliche Antwort.
Der junge Mann hatte viel von Palermo gehört und wollte es sehr gern kennenlernen. Es war eine schöne Stadt, die sich rund um La Cala ausdehnte, einen ausgezeichneten Naturhafen, den nur die Nordostwinde heimsuchen konnten. Sie erstreckte sich bis zu einigen Bergen, die ein Amphitheater bildeten und von den Einheimischen
Conca d’Oro
– »Goldene Muschel« – genannt wurden, denn sie erinnerten tatsächlich an eine Riesenmuschel. Palermo war die Hauptstadt Siziliens, und es hatte eine prächtige Kathedrale, schöne Kirchen und ein
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