Am Horizont die Freiheit
mit einem reichen Mann verheiratet, der ihr alles gab. Was konnte er ihr bieten? Nichts. Er hatte gerade genug Geld, um sich ein neues Wams zu kaufen und vor ihr elegant zu erscheinen. Wenn Anna sich zu einer Wahnsinnstat hinreißen ließ und mit ihm floh, hätten sie nicht einmal etwas zu essen.
Am nächsten Morgen entschloss er sich, die Münzen zu behalten. Als er Vilamarí sah, spürte er noch größeren Hass als zuvor. Dem Admiral war es gelungen, ihn zu seinem Komplizen zu machen. Er glaubte sicher, dass Vilamarí all das genau wusste und dass das zynische Lächeln, das über die Lippen des Seemanns huschte, seinen Triumph bekundete. Sobald er könnte, würde er ihn töten.
82
I n der zehnten Vormittagsstunde des nächsten Tages lief die Flotte in Richtung Ostia aus. Die Schiffe fuhren zwischen den Inseln Procida und Ischia hindurch, um Kurs nach Norden zu nehmen. Joan beobachtete, wie sich die Steilküste Ischias näherte und danach wieder entfernte. Dort war Anna, so nahe! An der Nordküste konnte er ein paar Kinder erkennen, die den vorbeifahrenden Galeeren nachwinkten. Wenn er über Bord sprang, würde er ohne größere Probleme zur Küste schwimmen können. Er schloss die Augen und stellte sich vor, dass er dort ankam, dass Anna dort am Strand war und ihn mit einer Umarmung und einem Kuss empfing. Doch als er Ischia verschwinden sah, löste sich dieser Traum in Luft auf.
In der Buchhandlung hatte er für sie einen Brief hinterlassen. Darin schrieb er, er habe sie in Neapel gesucht, ohne sie zu finden, und sie solle bitte auf ihn warten, weil er zurückkommen werde.
Sobald Joan seine Aufgaben erledigt hatte, musste er über vieles nachdenken. Die Ereignisse der letzten Tage und auch das Gespräch mit dem Admiral beunruhigten ihn sehr.
»Gibt es bei den Menschen wirklich Löwen und Gazellen?«, schrieb er in sein Buch. »Verrate ich meine Eltern, wenn ich dieses schmutzige Geld annehme? Der Admiral hat gesagt, dass ich noch viel lernen muss. Auch der Buchhändler. Aber vielleicht gibt es Dinge, die ich besser nie lernen sollte.« – »Ich liebe Euch, Anna. Wartet auf mich.« – »Ich brauche viel Geld.« – Und über den Admiral: »Ich werde Euch töten.« Aus Vorsicht schrieb er nicht den Namen dazu.
Als die Flotte in Ostia ankam, befand sich Papst Alexander VI . gerade in einer schwierigen Lage. Er hatte sein Bündnis mit Neapel gefestigt, indem er seinen Sohn Jofré mit Sancha, der Tochter des neuen Königs Alfons II ., verheiratet hatte. Dieses Bündnis missfiel dem Kardinal Della Rovere, der insgeheim wünschte, selbst Papst zu werden, und der seine Hoffnungen auf die französische Invasion setzte. Nach einem Wortwechsel mit dem Papst war der Kardinal geflohen. Mit Hilfe der mächtigen römischen Familie der Colonnas hatte er sich der Stadt Ostia und ihrer Burg bemächtigt. Von dort aus kontrollierte er die Schiffe, die den Fluss Tiber hinauffuhren, und blockierte die Versorgung der großen Stadt.
Gerade um die Durchfahrt auf dem Fluss zu sichern, wollte der Papst die Dienste Vilamarís und seiner Flotte in Anspruch nehmen. Der Admiral hatte ein gutes Verhältnis zum Papst, der ihm seinen Sohn Juan Borgia anvertraut hatte, damit er ihn auf seinen Galeeren nach Barcelona brachte, wo er María Enríquez, die Cousine des Königs Ferdinand von Aragonien, ehelichen sollte.
Der Tiber führte in dieser Jahreszeit wenig Wasser, und der Admiral beschloss, nur mit der
Santa Eulalia
nach Rom hinaufzufahren. Deshalb ließ er die beiden anderen Galeeren an der Flussmündung ankern. Die Fahrt war für ein Schiff von dieser Größe nicht ungefährlich, doch er unternahm sie nicht zum ersten Mal mit Genís Solsona als Steuermann und mit der Hilfe eines einheimischen Lotsen, der den Fluss genau kannte.
Nach einem Tag kamen sie glücklich ans Ziel, ohne dass sie von der Garnison Ostias angegriffen wurden. Diese hatte sich entschieden, die Farben ihrer Fahnen und die Artillerie des Schiffes zu respektieren. Sobald die Galeere in dem Hafen beim Ponte Vecchio angelegt hatte, beeilte sich der Admiral, sich zusammen mit dem Offizier Torrent und zwanzig Soldaten zum Vatikan zu begeben. Joan bat darum, sie zu begleiten, und der Admiral erlaubte es, was viele überraschte.
Rom war damals beträchtlich kleiner als Neapel, vielleicht so groß wie Barcelona, doch es war von berühmten Ruinen aus der Zeit des Römischen Reichs umgeben, als die Stadt dreißigmal größer war.
Admiral Vilamarí
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