Am Horizont die Freiheit
den er am Morgen in seinem Haus entdeckt hatte. Mühsam wehrte Joan die Hiebe ab, die ihm der Mann mit verzweifelter Kraft pausenlos versetzte, und schließlich fürchtete er, dass dieser ihn trotz seiner Fechtausbildung und seiner Jugend verletzen würde. Er wusste, dass sich keiner von ihnen ergeben durfte. Es war ein Kampf auf Leben und Tod. Dann dachte er an Anna. Er kämpfte für sie. Die ganze Wut, die er so lange auf seinen Rivalen angestaut hatte, brach aus seiner Brust hervor, und er erwiderte die Hiebe mit demselben Ungestüm, mit dem sie ihm sein Feind versetzte. Lucca spürte, dass ihm der Tod schon das Herz erstarren ließ, und kämpfte mit der Trostlosigkeit eines Mannes, der den anderen mit in den Tod reißen wollte.
Entern war kein ritterliches Duell, und als sich die Seeleute ergaben, die mit Lucca zusammen waren, riefen ihm die Fußsoldaten zu, er möge sich auch ergeben. Doch der Neapolitaner hörte nicht auf sie und unterbrach keinen Augenblick sein Duell mit Joan. Da stieß ihm einer der Soldaten eine Lanze in den Rücken, in die Lendengegend, und Lucca ließ einen Seufzer hören. Joan nutzte die Gelegenheit, um ihm einen kräftigen Hieb in den Hals zu versetzen, der den anderen aufs Deck stürzen ließ. Riccardo Lucca lag auf dem Rücken, blickte zum Himmel, und in wenigen Augenblicken verlor er sein Leben zusammen mit dem Blut, das die Planken bespritzte.
Joan hatte den Eindruck, dass ihn der Gatte seiner Liebsten keinen Moment aus den Augen ließ. Selbst im Tod, als er in einer scharlachroten Pfütze lag, starrte er ihn noch an. Nie im Leben würde er diesen Blick vergessen. Er würde nachts aufwachen und sich fragen, was ihm diese Augen im Leben und im Tod sagen wollten. Lucca war nicht gestorben, um seine Gold- und Silberschätze zu verteidigen, sondern in einem verzweifelten Kampf, um zu leugnen, dass er verloren hatte, was er am meisten liebte. Die Liebe seiner Frau.
Joan überwältigte eine Lawine widersprüchlicher Gefühle. An der Art, wie er Lucca getötet hatte, war nichts Edles. Ihn hatte nicht einmal zurückgehalten, dass der andere verwundet und nicht mehr gefährlich war. Er hatte ein Verbrechen begangen, und er begriff, dass er sich schon des Mordes an Lucca schuldig fühlte, bevor er ihn tatsächlich getötet hatte.
Der Neapolitaner war wie ein tapferer Mann gestorben, doch als er das Tor des Todes durchschritt, nahm er den schrecklichen Schmerz mit. Warum hatte er ihm sagen müssen, dass ihn Anna betrogen hatte? Joan glaubte nicht, dass er sich dies eines Tages verzeihen konnte.
100
D ie Mannschaft der Karavelle hatte sich ergeben, und als die französische Flotte auf Kampfdistanz herankam, war es zu spät. Vilamarís Galeeren waren einsatzbereit und hatten günstigen Wind. Die einen wie die anderen wollten sich nicht auf eine ungewisse Schlacht einlassen. Nachdem sie eine Zeitlang in Kampfposition geblieben waren, fuhren sie in ihre Häfen zurück.
Das Schiff und alles, was es beförderte, einschließlich der Menschen, wurden nun als Kriegsbeute betrachtet. Vilamarí brauchte nicht allzu viele Rechtfertigungen, um an sich zu reißen, was er mit Waffengewalt gewonnen hatte.
Sie ließen diejenigen herauskommen, die sich in den Lagerraum geflüchtet hatten, und befahlen ihnen, auf Deck anzutreten. Wie es Joan vermutet hatte, befanden sich dort mehrere neapolitanische Kleinadlige mit ihren Familien und einigen Dienern. Anders als Lucca hatten sich diese Männer nicht am Kampf beteiligt. Anna unterschied sich von den Übrigen durch ihre Schönheit. Sie war blass und verweint, aber offenbar unverletzt. Joan seufzte erleichtert auf.
Pere Torrent machte Gebrauch von seinem Recht, sich seine Beute auszusuchen. Er trat nach vorn zu Anna und blickte sie an, während er einmal um sie herumlief: »Ich will diese Frau als Teil meines Gewinns.«
Anna sagte nichts. Sie presste nur die Lippen zusammen, bis sie beinahe verschwanden, und blickte Joan an. Er hielt ihrem Blick stand, ohne dass er wusste, wie er reagieren sollte. Doch wenn er sich einer Sache sicher war, so, dass er sie jetzt nicht an einen uniformierten Raufbold verlieren wollte. Er dachte an den Sklavenmarkt von Otranto und stellte sich Anna vor, wie sie nackt in Torrents Armen lag, wie sich dessen Körper auf den ihren legte, und er konnte nicht an sich halten.
»Diese Frau gehört mir!«, rief Joan. »Rührt sie nicht an!«
Alle starrten ihn überrascht an. Niemand hatte es bisher gewagt, Torrent herauszufordern.
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